Jahreslosung 2022

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ Johannes 6, 37

Wie üblich hat die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen auch für 2022 wieder für den deutschsprachigen Raum ein Bibelwort als Jahreslosung bestimmt. Demnach steht über dem kommenden Jahr: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Johannes 6, 37) Und wie gewohnt haben sich auch diesmal wieder für diesen Zeitungsartikel Menschen aus dem Evangelischen Kirchenkreis Wittgenstein Gedanken gemacht, wie sie Jesu Zusage aus dem Johannes-Evangelium ganz persönlich verstehen. Aber erst einmal gebärdet Pfarrerin Barbara Plümer als Wittgensteiner Gehörlosenseelsorgerin die Jahreslosung 2022:

Der Banfetaler Pfarrer Peter Mayer-Ullmann hat als Alter Hase und langjähriger Profi natürlich immer den Kontext im Blick und weiß deshalb auch sofort, in welchem Zusammenhang die Einladung ausgesprochen wird: „Das habe ich immer geliebt: Menschen, die nach einem Konflikt, einem Fehltritt oder wie hier nach einem grundlegenden Missverständnis, die Türe nicht einfach haben ins Schloss fallen lassen, sondern sie mit Worten und Gesten ein Stück weit offengehalten haben - ohne dabei den anderen zu nötigen oder sich ihm aufzudrängen. So macht das Jesus mit uns auch. Dabei hätte er sicherlich bei jedem von uns ganz persönlich Grund genug, die Türe ins Schloss fallen zu lassen, auch, wenn er auf die mit Stacheldrahtzäunen und Mauern gesicherten Grenzen Europas oder in so manches Flüchtlingslager schaut. Trotzdem gilt auch für das neue Jahr seine Einladung. Schon dieser geöffnete Türspalt lässt Licht und frischen Wind in unsere verkrümmten und beladenen Seelen kommen. Wie wird es erst sein, wenn wir uns aufmachen und eintreten - seiner Einladung folgen?“

Claudia Latzel-Binder spürt diesen Zwiespalt deutlicher. Denn kurz nachdem wir uns zu Weihnachten daran erinnert haben, dass Gott in Jesus als Mensch zu uns auf die Erde gekommen ist, macht die Jahreslosung der Berleburger Pfarrerin deutlich: „Wir sind bei Gott willkommen. Wir Menschen können zu ihm kommen, werden nicht abgewiesen, dürfen Gemeinschaft mit ihm haben, mit ihm leben. Großartig! Wunderbar! Zugleich kann ich die Jahreslosung nicht lesen oder hören, ohne dass das Wort ‚abweisen‘ bei mir nicht auch bittere und traurige Assoziationen zu den Abweisungen von Migrant*innen und Geflüchteten wachruft. Gerade in diesen Tagen bangen wir mit einer Familie, der die Abschiebung droht. Sie ist hier gut integriert und wir kennen sie über das Café International. Die Abweisungen an den Außengrenzen Europas sind ein Drama mit so vielen menschlichen Katastrophen. Natürlich kommen die Menschen in dem Kontext der Jahreslosung zu Jesus. Aber sie machen sich auch auf, zum Teil zu Fuß oder mit Booten: Menschen, die sich im christlichen Abendland etwas für ihr Leben und ihre Zukunft erhoffen. Ich kann diese Verknüpfung nicht ausblenden.“

Anke Althaus-Aderhold aus Alertshausen hat an den Advents-Sonntagen als Teil der Berleburger Seebrücke-Aktionsgruppe bei Mahnwachen an die Menschen an den europäischen Außengrenzen in ihrer menschenunwürdigen Situation erinnert. Da ist es für die Presbyterin der Lukas-Gemeinde schon verführerisch, sich den Ort vorzustellen, an den Jesus uns in der Losung alle einlädt: „Den setzte ich gleich mit allumfassendem Frieden, samten-leichter Ruhe, Geborgenheit in einem Licht aus Liebe, unbeschreiblicher Schönheit, meeresblauem Vertrauen, dem feinsten Duft, der herrlichsten Harmonie, der wunderbarsten Aussicht, der Vollkommenheit der Schöpfung und unbeschreiblicher Farbenpracht.“ Im krassen Gegensatz dazu das Hier und Jetzt, das wir selbst als Christinnen und Christen verändern können: „Im Weltgeschehen finden so viele, von Menschen verursachte Desaster statt. Menschen werden mit Füßen, Waffen, Gewalt malträtiert. Die Erde braucht Heilung und das Handeln eines Jeden, mit der Achtung vor Mensch und Umwelt. Diese Losung wird uns in diesem Jahr durchgängig daran erinnern, Gemeinsinn, Uneigennützigkeit, Nächstenliebe zu leben, uns nicht zu fürchten und im Gebet zu bleiben.“ Und Anke Althaus-Aderhold ist sich sicher, dass Gebete überall funktionieren: „Wenn ich zu ihm kommen will, kann ich am Küchentisch sitzen bleiben, bei jedem Schritt, an jedem Ort, wie bei dem Hasen und dem Igel, er ist immer schon da.“

Für die Laaspher Vikarin Carolin Kremendahl ist die ausdrückliche Offenheit der Jahreslosung wichtig: „Das ist eine Einladung von Jesus höchstpersönlich, zu ihm zu kommen und bei ihm anzukommen. Eine Einladung, die jedem Menschen gilt. Da braucht es weder einen Nachweis über unsere Fähigkeiten noch sonst irgendwelche Qualifikationen. Die Tür zu Jesus steht offen. Da wird niemand abgewiesen. Jeder und jede ist willkommen so, wie er oder sie ist. Mit unseren Wunden und Narben, mit unserer Schuld und Schwachheit, mit unserer Verletzlichkeit und Unperfektheit. Der erste Schritt ist gemacht. Den zweiten durch die Tür zu Jesus müssen wir selbst gehen. Doch eins ist sicher: Du wirst begrüßt mit einem herzlichen: ‚Schön, dass Du da bist.‘“

Und während die Tür in diesem Bild eher eine im übertragenen Sinn ist, denkt Jana Afflerbach als Gemeindesekretärin der Erndtebrücker und der Birkelbacher Kirchengemeinde bei diesem Bibelwort direkt an ganz echte Türen. Nämlich von ihrem Gemeindebüro neben der Evangelischen Kirche Erndtebrück: „Manchmal trennen den Besucher, die Besucherin des Gemeindebüros und mich nur zwei Türen und wenige Schritte. Doch an manchen Tagen verhallen diese bereits im Vorhaus des Pfarrhauses. Ich lausche: Einige möchten manchmal nur - vielleicht bewusst unbemerkt - den Briefkasten nutzen, um etwas einzuwerfen. Andere brauchen noch einen Moment, um die richtige Klingel auszuwählen und sich die Maske aufzusetzen. Ich bin gespannt, wer vorbeikommt.“ Denn die Botschaft der Jahreslosung versteht Jana Afflerbach als ihren eigenen Dienstauftrag.

Das ist Luftlinie 250 Meter entfernt nicht anders. Im Login, der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im örtlichen Evangelischen Jugendheim, ist seit rund zweieinhalb Jahren Benjamin Ihmig tätig, der auch als Konfessionsloser der Jahreslosung 2022 etwas abgewinnen kann: „Diese Worte könnten das Motto unseres Jugendtreffs sein: Denn wer zu uns kommt, unabhängig von Herkunft, Religion, Weltanschauung oder Problemen, ist immer herzlich willkommen. Jeden Tag aufs Neue leben wir diesen Gedanken und bieten den Jugendlichen einen Platz, an dem sie sich entfalten und einfach sie selbst sein können - ohne Druck oder Anforderungen. Bringt jemand Hunger mit, gibt es was zu essen, bringt jemand Probleme mit, gibt es Hilfe, und bringt jemand gute Ideen mit, dann gibt es Möglichkeiten, diese zu fördern. Selbst im Lockdown haben wir es geschafft, die jungen Menschen willkommen zu heißen und mit neuen wie alten Bekannten Kontakt zu halten. Allen Strapazen der Corona-Pandemie zum Trotz eine positive Erfahrung: Wir konnten so auch zeigen, wie man, trotz strenger Regeln, niemanden abweisen muss.“

In Simone Conrads Gedanken, die nicht nur Superintendentin, sondern auch Diakoniepfarrerin des Kirchenkreises ist, spielen neben der Pandemie noch andere Zwänge und Schwierigkeiten der Gegenwart eine Rolle, wenn sie die wunderbare Botschaft der Jahreslosung hört: „Das wärmt mir das Herz - und ich spüre gleichzeitig den Auftrag und den Wunsch, auch meine Tür weit aufzumachen und das Willkommen weiterzugeben. Kirche in der Welt, Handeln in der Welt: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Umso schmerzhafter wird mir bewusst, wie oft es eben nicht so ist: wie oft Menschen abgewiesen werden. An Türen, an Grenzen, in Ämtern - kein Willkommen, sondern: kein Platz, keine Zuständigkeit, nichts frei. Besonders bitter erlebe ich dies in der Pflege: die wachsende Personalnot und die Überlastung der Mitarbeitenden, die Not der Pflegedienstleitungen, die so gerne alle, die anfragen, aufnehmen und versorgen wollen - und die doch nur die Kapazitäten vergeben können, die da sind. Es leiden beide Seiten: die, die abgewiesen werden, und auch die, die ‚Nein‘ sagen müssen.“ Deshalb ist die biblische Zusage für Simone Conrad umso wichtiger als Motivation: „Die Jahreslosung erinnert uns - und ermutigt uns neu.“

Und Abenteuerdorf-Geschäftsführerin Silke Grübener hat einfach nach der Jahreslosungs-Stelle noch ein bisschen weitergelesen: „Willkommen zu sein, Gemeinschaft und Nähe zu spüren, das habe ich in den letzten Monaten durch die Pandemie viel mehr zu schätzen gelernt. In der Basisbibel steht zwei Verse später: ‚Ich (Jesus) soll keinen von denen verlieren, die er (Gott) mir anvertraut hat.‘ Diese Aussage verstärkt für mich die Jahreslosung. Ich fühle mich erinnert an die Geländespiele und Nachtwanderungen, die wir im Abenteuerdorf schon mit verschiedensten Gruppen gemacht haben. Wie wichtig ist es dabei, immer wieder durchzuzählen und Treffpunkte zu vereinbaren, um sicher zu sein, keinen zu verlieren, der uns anvertraut ist. Dieses Bild hilft mir zu verstehen und mich daran zu erinnern, dass Gott sich um jeden einzelnen von uns sorgt und Gemeinschaft mit uns haben möchte.“