Ein Tag, der Gott Kopfschmerzen machte

Neben den drei üblichen Veranstaltungen nahmen diesmal auch zwei Friedensgebete das Gedenken an die Reichspogromnacht auf

Es ist beeindruckend, wie auf dem kleinen ländlichen Gebiet von Wittgenstein inzwischen seit vielen Jahren in allen drei Kommunen am 9. November an die Schrecken der Nazi-Zeit im Allgemeinen und der Reichspogromnacht 1938 im Speziellen erinnert wird. Und überall gestalten Schülerinnen und Schüler diese Veranstaltung mit.

Der Auftakt war auch in diesem Jahr morgens in Erndtebrück. In der evangelischen Kirche hatten sich alle Viertklässler der örtlichen Grundschule und ein sechstes Schuljahr der Realschule sowie deren Lehrkräfte versammelt, dazu neben Bürgermeister Henning Gronau weitere Erwachsene. Diesmal waren es wieder die Grundschülerinnen und Grundschüler, die das Programm gestalteten. Zunächst stellten die Mädchen und Jungen die zehn Erndtebrücker Jüdinnen und Juden vor, die dem Nazi-Regime zum Opfer fielen. Danach folgte eine prägnante Aufzählung, wie in Deutschland in den 1930er Jahren die jüdischen Mitmenschen Schritt für Schritt aus dem gesellschaftlichen Leben herausgedrängt wurden. Die Viertklässler erzählten von Inge Deutschkrons Buch „Papa Weidt“, das sie im Unterreicht gelesen hatten. Und sie hatten überlegt, was von damals für heute gelernt werden könnte: Zum Beispiel, dass man Kindern, die ausgegrenzt und gemobbt werden, helfen solle.

Auch wenn Viel in diesen Teil hineingepackt wurde, war er so konzentriert und anschaulich, dass die Kinder und Jugendlichen auch der anschließenden kurzen Andacht von Kerstin Grünert aufmerksam zuhörten. Die Erndtebrücker Pfarrerin war sicher, wenn Gott Tage wie den 9. November 1938 anschaue, bekomme er gewiss Kopfschmerzen, wegen der schlimmen Sachen, die Menschen einander antun. Aber wenn er dann sehe, wie Mädchen und Jungen darüber nachdächten, damit sich so etwas nie wiederhole, sei das für Gott bestimmt das beste Kopfschmerzmittel. Danach ging es zur Gedenktafel an der Erndtebrücker Bergstraße, hier wurden nochmal die Namen der ermordeten Erndtebrücker Jüdinnen und Juden verlesen und weiße Rosen vor der Gedenktafel für sie abgelegt.

Bei dem Mahnmal für die ermordeten Berleburger Jüdinnen und Juden am Berlebach gestalteten abends Schülerinnen und Schüler der örtlichen Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule die Gedenkfeier. Die Projektgruppe „Schule für Toleranz und Zivilcourage“ der Berleburger Hauptschule war im Sommer schon an der Stolperstein-Verlegung für Karl Wolff in Arfeld beteiligt, der 1940 an den Folgen der Misshandlungen, die er in Buchenwald erlitten hatte, gestorben war. Während ihrer Klassenfahrt nach Weimar Ende Oktober hatten die Zehntklässler mit ihren Lehrinnen Ute Bänfer und Kerstin Burgmann sowie deren Kollege Christian Ermert die Gedenkstätte beim ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald besucht. Darüber berichteten die Jugendlichen am Berleburger Mahnmal bei der Gedenkstunde, die Religionslehrerin Ines Weller als Leiterin der Projektgruppe „Schule für Toleranz und Zivilcourage“ organisiert hatte. Zum Abschluss verlasen die jungen Leute die Namen der Berleburgerinnen und Berleburger, die von den Nazis ermordet wurden.

Etwa zur gleichen Zeit wurde im Laaspher Haus des Gastes an die Pogromnacht erinnert. Nachdem Bürgermeister Dirk Terlinden die Zuhörenden begrüßt hatte, ging Rainer Becker als Vorsitzender des örtlichen Christlich-Jüdischen Freundeskreises auf die Laaspher Geschehnisse ein. Dabei bezog er sich auf Ausführungen des Historikers Ulrich Friedrich Opfermann. Hier kam die Rede auf einen Laaspher, der gleichzeitig Mitglied von Hitlers Nationalsozialistischer Deutschen Arbeiterpartei und vom örtlichen Presbyterium war: Segnend habe er damals die Hand über die Thora aus der Laaspher Synagoge gehalten, bevor er sie mit den Worten „Jetzt kommt das Heiligste vom Heiligen“ dem Feuer übergeben habe. Wie wichtig war es deshalb an diesem Abend, dass die Feudinger CVJM-TonSpuren und der Laaspher Pfarrer Steffen Post Kontrapunkte setzten, die ganz anders klangen und von einem anderen Geist getragen waren. Der Chor bat singend um Frieden mit „Give Us Peace“ und wünschte den Zuhörenden „Sei behütet“, zum Abschluss der Veranstaltung sprach Steffen Post auf Hebräisch und auf Deutsch Kaddisch, eines der wichtigsten jüdischen Gebete. Zuvor hatten Neuntklässler und Oberstufenschüler aus dem Religionsunterricht von Wolfgang Henkel am Gymnasium „Schloss Wittgenstein“ bei der berührenden Veranstaltung die Namen der Laaspher und Banfer Männer, Frauen, Kinder verlesen, die von den Nazis ums Leben gebracht oder vertrieben wurden.

Weil die regelmäßigen Wittgensteiner Friedensgebete unterschiedlicher Gemeinden bereits seit Monaten mittwochs in Bad Berleburg, Erndtebrück, Girkhausen oder Wemlighausen stattfinden, gab es diese auch an dem Gedenktag jetzt. Vor der Girkhäuser Kirche ging Christine Liedtke ganz persönlich auf ihre Familiengeschichte ein. Als Vierjähriger habe ihr Vater die Pogromnacht und das Brennen der Synagoge in seinem Heimatort miterlebt, was ihm dann natürlich erst viel später klar geworden sei. Aber für die Pfarrerin war das der Motor dafür, dass sich ihr Vater zeitlebens für den jüdisch-christlichen Dialog und für das gegenseitige Verstehen eingesetzt habe. Wie immer wurde das Friedensgebet in Girkhausen vom örtlichen CVJM-Posaunenchor umrahmt. Auch bei den Friedengebeten in der evangelischen Erndtebrücker Kirche spielt Musik allwöchentlich eine wichtige Rolle. Diesmal hatte Kerstin Grünert die von Giora Feidman interpretierten Lieder „Jeruschalajim shel sahav“ und „Hallelujah“ ausgesucht, dazwischen teilte sie mit den Zuhörenden die Erinnerungen der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano an die Reichspogromnacht.

>>> Bericht der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schüler*innen
>>> Grußwort des Laaspher Bürgermeisters Dirk Terlinden
>>> Ansprache des Laaspher Freundeskreis-Vorsitzenden Rainer Becker
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