Jahreslosung 2020

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Markus 9, 24

Die Jahreslosung 2018 war eine deutlich ermutigende Verheißung: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“. Für 2019 gab es einen klaren Auftrag: „Suche Frieden und jage ihm nach!“ Und die Jahreslosung 2020? „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ soll nach dem Willen der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen über den kommenden zwölf Monaten stehen. Eine Bibelstelle aus dem Markus-Evangelium. Mit so einem sperrigen Satzzeichen wie einem Semikolon, das wohl die wenigsten Menschen jemals im Leben benutzen werden. Und mit solch einem sperrigen Wort wie „Unglauben“, eine Vokabel, die sich so kompromisslos, so wenig kuschelig anhört. Sogar Pfarrerin Barbara Plümer als Wittgensteiner Gehörlosenseelsorgerin muss bei den Worten einen kleinen Haken schlagen, wenn sie die Jahreslosung 2020 gebärdet:

Was kann, was will uns die Jahreslosung 2020 sagen? Hier ein paar ganz persönliche Gedanken von einem halben Dutzend Menschen aus dem Wittgensteiner Kirchenkreis, die einen Anstoß bieten können.

Da wäre etwa die Berleburger Presbyterin Katrin Spies-Gußmann. Sie ignoriert zunächst mal den Unglauben, konzentriert sich auf das, was ihr viel wichtiger ist und buchstabiert das Wort „Glaube“ für sich selbst durch:
G - Gott begegnen und es wollen,
L - Leben in schweren und leichten Zeiten, es selbst gestalten,
A - Authentisch-Sein als Mensch und Christ, so Kontakt zu den Mitmenschen haben
U - kein Unruhestifter sein, sondern ehrlich sein und nicht werten
B - Bibel lesen und dadurch Führung zu haben
E - Empathisch-Sein, und es hinterfragen, wenn ich es nicht kann

Doch auch wenn es sich schön anhört, so wird Katrin Spies-Gußmann beim nochmaligen Lesen klar, wie vielschichtig und kompliziert das alles ist. Deshalb leitete die Berleburger Presbyterin für sich einen guten Vorsatz aus dem Text ab: „Hilf meinen Unglauben - genau das ist es: Kopf und Herz müssen zusammen spielen. Ich darf in einer festen Gemeinschaft mit Gott und den Menschen und mir selber stehen. Dann gelingt es, Glaube zu leben und Unglaube zu erkennen und abzulegen. Ich werde diesen Spruch der Jahreslosung mit ins neue Jahr nehmen und bitte Gott, dass er mich stark macht, mitten im Leben zu stehen, Neues zu wagen ohne dabei mich auf Trends zu verlassen. Ja, und ich möchte meinen Mitmenschen liebevoll und als Stütze begegnen und am liebsten sie auf ihren Weg zum Glauben führen.“

Der Laaspher Pfarrer Dieter Kuhli ordnet die Jahreslosung erstmal in den größeren Zusammenhang der Geschichte ein, einer Geschichte, in der ein verzweifelter Vater um die Heilung seines an Epilepsie erkrankten Sohnes bittet: „Der Vater, von dem die Bibel erzählt, hat sich mit der Bitte um Hilfe zunächst an Jesu Jünger gewandt. Seine Hoffnung wird bitter enttäuscht. Sie sind anderweitig beschäftigt: mit Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und können ihm deshalb nicht helfen.“ So ist es gut, dass Jesus selbst kommt, auch wenn es etwas dauert: „Der Vater, der um sein krankes Kind kämpft, ist inzwischen ausgebrannt und mit seiner Kraft und seiner Zuversicht am Ende spricht - nach den enttäuschenden Erfahrungen mit den Jüngern - nun Jesus an: wie einen Arzt, bei dem man nicht wissen kann, wie weit seine Kunst reichen wird. ‚Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!‘ Auf diesen dramatischen Hilfeschrei antwortet Jesus mit dem - für mich höchst überraschenden - Hinweis auf die Macht des Glaubens: ‚Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt‘.“

Wobei für Dieter Kuhli, der weitere Bibelstellen aus dem Markus-Evangelium und dem Hebräer-Brief im Kopf hat, klar ist: „Solchen Glauben haben wir aber niemals von uns aus: ‚Bei den Menschen ist‘s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott‘, so wird Jesus später dem reichen Jüngling ins Stammbuch schreiben. Der Glaube, auf dem die Verheißung liegt, ist also zunächst die Macht von Jesu eigenem Glauben. So kann wirklich nur er reden, das Vorbild des Glaubens, ‚der Anfänger und Vollender des Glaubens‘.“ Jesus Christus stellt der ungläubig-zweifelnden Bitte des Vaters aber nicht nur die Macht seines eigenen Glaubens entgegen, sondern er versucht, diesen selbst zum Glauben zu bewegen: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“. So ist sich der Laaspher Pfarrer sicher, dass diese Verheißung Jesu zusammen mit der Antwort des schreienden Vaters gelesen muss: „Beide Sätze dürfen wir nicht auseinanderreißen. Beide stehen unter der Voraussetzung der gnädigen Zuwendung Gottes, die uns in Jesus Christus begegnet. Davon ist niemand ausgeschlossen. Folglich darf und will ich im Umgang mit der Jahreslosung bei anderen (und auch bei mir selbst) zuerst und vor allem mit dem Glauben und nicht mit dem Unglauben rechnen.“ Das sind übrigens nur wenige Stichpunkte von Dieter Kuhli aus einem längeren Konzept, das man hier komplett lesen kann.

Auch die Fischelbacherin Birthe Becker-Betz, Mitarbeiterin in der Kinder- und Jugendarbeit bei den Gemeinden im Kirchenkreis-Süden, kann sich dennoch vorstellen, dass der Glaube gegenüber dem Unglauben mal kurzfristig den Kürzeren zieht: „Kennen wir nicht alle so eine Situation? Ein Hilfeschrei aus der Tiefe: ‚Ich glaube ja an dich Gott, wäre ich sonst zu Dir gekommen, aber…‘ Ich glaube ja, aber in scheinbar ausweglosen Situationen schleichen sich doch immer mal wieder Zweifel ein: Und wenn es jetzt doch nicht gut wird? Was, wenn es anders kommt, als ich es mir erträumt habe? Ich vermisse die Nähe Gottes und spüre, dass mein Glaube ins Wanken gerät. Aber da steht Jesus, mit offenen Armen wartet er auf mich.“

Dabei sieht Birthe Becker-Betz eine spannende Verschiebung im biblischen Text: „Am Ende geht es gar nicht mehr um den Sohn, sondern um den Vater. Sein Glaube hat ihn angespornt, zu Jesus zu kommen und er weiß, dass er das auch mit seinen Zweifeln tun kann. Denn allein Jesus kann uns in unserem Zweifeln zum Vertrauen helfen. Bei Jesus ist alles möglich, darum darf ich grenzenlos vertrauen und wissen, dass ich bei ihm gut aufgehoben bin, im Glauben und auch im Zweifeln.“

Lukas-Pfarrer Joachim Cierpka von der Kirchengemeinde im Elsoff- und Edertal unterstreicht und betont sogar ausdrücklich die Notwendigkeit des Zweifelns: „Der Bruder des Glaubens ist der Zweifel. Ein Glaube, der nicht hinterfragt wird, wird starr und wächst nicht mehr. Vielmehr stirbt er in seiner Lebendigkeit ab zu dogmatischer Trockenheit, er verliert seine Wirksamkeit. Lebendiger Glaube braucht den Zweifel, der die Dinge von vielen Seiten betrachten lehrt.“

Wobei für den Pfarrer feststeht: „Glaube ruft zu neuen Ufern, zur Veränderung, zum Aufbruch und Entdecken. Das gilt nicht nur religiös wie bei Abraham oder Mose und dem Volk Israel, sondern auch wissenschaftlich: Menschen wie Christoph Columbus, Americo Vespucci, Marco Polo und Alexander von Humboldt, Robert Koch oder Marie Curie waren angetrieben vom Glauben, neue Welten und neues Wissen zu entdecken. So treibt Glaube - recht verstanden - den Zugewinn von Raum und Wissen an. Glaube und Wissen - sie stehen in Wahrheit nicht gegeneinander, sondern sind zwei Seiten der Medaille der Erkenntnis.“

Dabei weist Joachim Cierpka auch für eine andere Stelle darauf hin, Gegensatz-Paare akkurat wahrzunehmen: „So wird in der Jahreslosung nicht der Zweifel, sondern der Unglaube als Gegenstück genannt. Der nämlich bedeutet Stillstand. Unglaube steht für Erwartungslosigkeit, die rückwärtsgewandt trauert, aber zu Schritten zur Gestaltung von Gegenwart und Zukunft nicht mehr fähig ist. Unglaube steht für eine Lebensfeindlichkeit, die ausgrenzt und eng macht. Unglaube steht für die Verweigerung, sich durch Gott verändern zu lassen und zu verändern. Und doch wohnt auch all das dem Menschen inne: im Wort ‚Unglaube‘ zusammengefasst. Trotz allen Willens, so zu leben, wie wir eigentlich sollen und wollen. Daher dürfen wir mit der Jahreslosung aus tiefsten Herzen bitten: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Denn allein das Bitten schafft schon Hoffnung, wenn Realität und Anspruch weiter auseinander liegen als gewünscht.

Ein verbreitetes Gefühl, wie der Girkhäuser Daniel Seyfried als Chef vom Kirchenkreis-Kompetenzzentrum für Kinder-, Jugend- und Familienarbeit vermutet: „Wer kennt es nicht, dass Wollen und Vollbringen manchmal weit auseinander liegen. Das trifft natürlich auch auf unseren Glauben zu. Oft wünschen wir uns doch einen unerschütterlichen Glauben, der fest auf Jesus vertraut. Und doch kann es im Alltag vorkommen, dass uns Fragen oder Bedenken beschäftigen: Warum greift Gott nicht ein, wo ich ihn gerade so dringend brauche? Warum hilft Jesus mir jetzt nicht? Diese Ambivalenz ist etwas zutiefst menschliches, und auch bei uns vorhanden.“

Da ist dem Girkhäuser ein Detail beim Vater des kranken Jungen wichtig: „Der Vater der gerade nicht mehr weiter weiß, der vielleicht sogar unsicher ist, ob Jesus ihm überhaupt helfen kann - ausgerechnet er wendet sich jetzt mit einem Hilferuf an Jesus.“ Und das analysiert Daniel Seyfried noch mal akribischer: „Welch ein hoffnungsvolles Bild. Bei Jesus muss ich nicht immer der Superchrist mit einem starken und mutigen Glauben sein. Sondern auch in meiner Schwachheit, in meiner Mutlosigkeit und meinen Zweifeln, darf ich zu ihm kommen und werde gehört und angenommen. ‚Hilf meinem Unglauben‘ ist ein ehrliches Bekenntnis, dass nur Jesus jetzt noch etwas tun kann. Es geht also nicht um die eigene Leistung, sondern um die Kraft Jesu.“

Es geht hier um seine Kraft, aber generell geht es auch darum, dass seine Geburt, sein Leben und letztendlich sein Tod uns den Weg zum himmlischen Vater geebnet haben, den die Erndtebrücker Pfarrerin Kerstin Grünert in einem Gebet für 2020 ganz direkt anspricht:

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Manchmal bist du so unverständlich, Gott, dann kann ich gar nicht richtig glauben.
Dann möchte ich verstehen und soll nur glauben.
Das fällt so schwer.
Mach mich mutig, durchzuhalten oder neu anzufangen.
Zeig mir Wege, die ich gehen will, mit dir, mit dem Glauben an deine Geschichte mit der Welt!
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Sie sind so laut, die Stimmen,
die an dir zweifeln, oder dich missbrauchen für ihre Machtgeschichten.
Dann will ich nicht glauben. Dann muss ich dich neu suchen, mit deiner Botschaft von Barmherzigkeit und Nächstenliebe.
Mach mich laut und deutlich in meinem Glauben, dass ich davon erzähle und anderen damit gut tun kann!
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Zum Glauben brauch ich vieles.
Ausdauer und Kraft,
Fröhlichkeit und Humor.
Glück und Freiheit.
Angst und Dunkelheit.
Schenk mir alles, zu seiner Zeit und im rechten Maß.
Und schenk es nicht nur mir, sondern allen Menschen,
die glauben wollen und es nicht können!
Lass uns nicht allein mit unserem Glauben! Amen“