Angedacht-Archiv 2020

24. Dezember 2020

„Gott ist da. Fürchtet euch nicht!“
von Superintendentin Simone Conrad, Wingeshausen

Weihnachten vor 2000 Jahren: Die Nacht ist kalt und dunkel. Hirten sitzen am Feuer, frieren vielleicht, sind gedankenschwer. Auf dem Feld ist es einsam, der Rand der Gesellschaft, in mehrfacher Hinsicht. Die Welt steht Kopf in jenen Tagen: Volkszählung ist, viele Menschen sind unterwegs, gezwungenermaßen. Auch das junge Paar ist auf dem Weg, fern von Zuhause. Nichts ist wie immer, nichts ist heimelig und vertraut. Stattdessen: die Herausforderungen der Reise, Erschöpfung und Müdigkeit; Frustration über fehlende Unterkünfte, die Anstrengungen einer Geburt. Sorgen, wie es wohl weitergeht mit dem kleinen Kind. Ängste: Was kommt auf uns zu?

In der Nacht strahlt ein Stern: Ein Kind wird geboren. Die Hoffnung strahlt hell - aus einer schmutzigen Krippe in einem ärmlichen Stall. Nichts ist, wie es sein sollte - und doch klingt die Botschaft: Fürchtet euch nicht.

Weihnachten heute: Die Welt steht Kopf. Nichts ist wie gewohnt. Herausforderungen, Erschöpfung, Frustrationen, Anstrengungen. Nichts ist wie es sein sollte - alles ist anders. Menschen sind einsam, Menschen sind voller Fragen, Sorgen und Ängste.

Und mitten in dieser Zeit: die Erinnerung. Ein Stern strahlt, ein Kind wird geboren. Für uns, damit wir Hoffnung haben. Damit wir es im Herzen hören: Fürchtet euch nicht. Damit wir uns vergewissern: Gott kommt. In diese verrückte Welt, die uns so viel zumutet. Gott kommt: unaufhaltsam, leise, ohne Pomp und Glitzer, ohne Festakt und Posaunen. Aber das hindert ihn nicht: er ist ein König der anderen Art, der leisen Art, er braucht keinen Festakt. Vor 2000 Jahren nicht und heute nicht. Denn er kommt um der Liebe willen und mit der Botschaft: Ihr müsst keine Angst haben: Gott ist da. Fürchtet euch nicht!

Ich wünsche uns segensreiche und hoffnungsfrohe Weihnachten!

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20. Dezember 2020

„Weihnachten richtig persönlich nehmen“
von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Es war schon eine seltsame und berührende Situation, als wir am frühen Dienstagabend in der Pfarrkonferenz per Zoom zusammensaßen und die dringende Empfehlung der Landeskirche hörten, ab sofort und über die Weihnachtsfeiertage auf alle Präsenzgottesdienste und andere kirchlichen Veranstaltungen (in Gebäuden und unter freiem Himmel) zu verzichten. Wie eine Käseglocke legte sich die Schwermut über mich. Mir war ja selbst schon mulmig geworden, mit den Gottesdiensten und den Besucherzahlen, die wir ins Auge gefasst hatten. Obwohl das alles gemessen und durchgerechnet und total zurückhaltend veranschlagt worden war.

Aber dann so deutlich darüber zu spreche und zu beraten, bereitete mir ein bisher nicht dagewesenes Gefühl. Aber es ist doch Weihnachten! Unser Fest! Und wir lassen die Menschen alleine! Und was ist, wenn sie uns vergessen und nach diesem Jahr feststellen, dass sie die Kirche an Weihnachten gar nicht vermisst haben? Ja, das frage ich mich, und diese Angst beschleicht mich wirklich. Denn uns fehlt jetzt unsere besucherstärkste Zeit. Und ich weiß nicht, ob der Aufschwung nächstes Jahr automatisch wieder kommt. Weihnachten als Fest der Kirchen. Naja, schon auch. Weihnachten als Fest der Menschen und, wie es immer so schön heißt: Weihnachten, das Fest der Liebe.

In diesem Jahr müssen wir eben Weihnachten so richtig persönlich nehmen. Mehr ist nicht drin. Die Sehnsucht nach Lametta und Gemütlichkeit muss ich für mich stillen und dann in kleinen Portionen weiter geben. Das große Drumherum muss ausfallen und Weihnachten auf das Wesentliche reduziert werden. Dieses Reduzieren und das Sparprogramm gehen mir zwar gehörig auf den Geist, aber zur Liebe gehört eben auch Verantwortung und um die kommt gerade keiner herum.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell!“ - die alte Verheißung vom Propheten Jesaja könnte nicht passender sein. So viele Monate voller Unsicherheit, Regeln und Begrenzungen, die machen einen ja regelrecht dunkel im Gemüt. Planen lohnt sich nicht mehr. Wo bleiben da die Verheißung und die Aussicht auf etwas Helles und Schönes? Und jetzt sogar Weihnachten.

Vielleicht ist es ein guter Plan, dass dieses Jahr an Weihnachten eben jeder persönlich im Fokus steht. Charles Dickens hat mal gesagt: „Ich werde Weihnachten in meinem Herzen ehren und versuchen, es das ganze Jahr hindurch aufzuheben.“ So bekommen wir etwas mit von dem Licht, das in jedem Fall über uns leuchtet. Denn Weihnachten passiert ja - und ich glaube, in diesem Jahr auch extra und ganz besonders persönlich!

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13. Dezember 2020

„Gott kommt uns selbst entgegen“
von Pfrn. Claudia de Wilde, Hemschlar

Der Chor mit jungen Leuten singt sich ein. Ohne vorgegebenen Ton summen alle zusammen, bunt durcheinander, die Tonleiter abwärts. Wie ein einziger großer Seufzer klingt das und soll dazu helfen, alles Belastende auszuatmen. Im nächsten Moment klingt es anders, jetzt summen wir die Tonleiter aufwärts. Als würde man einen Hügel hinaufrennen. Und tatsächlich ändert sich etwas an der eigenen Stimmung. Faszinierend, wie die Chorproben in der Studentenkantorei auch zum Seelentrost werden - natürlich auch durch das Miteinander und die gemeinsam gesungenen Werke, aber eben auch durch so eine kleine Einsingübung.

Aber ist das nicht zu einfach? Kann das wirklich helfen? Soll man das weitergeben an die, die gerade Schweres erleben? Ein tiefer Seufzer, ein leises Jubilieren? Hieße das nicht zugleich, den anderen in seiner Bedrängnis, in seiner Angst, in seinen Sorgen nicht ernst zu nehmen?

Vielleicht ist das keine Übung für andere, sondern nur für mich selbst. Ob ich den Tag beginne mit meinen Sorgen, mit der Trübsal, mit der Mutlosigkeit oder ob ich nach vorne blicke, mir meine Hoffnungen in Erinnerung rufe und mich freue auf das Schöne, was dieser Tag und die Zukunft zu bieten haben, das macht sicher einen Unterschied. Die Hoffnung, die Freude richten uns auf. Wir müssen nicht mehr auf den Boden vor uns sehen, sondern können nach vorn blicken. Und das macht viel aus. Das eigene Erleben verändert sich.

Der Wochenspruch, der wie eine Überschrift über dieser Woche steht, nimmt uns in diese Bewegung mit hinein: „Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ (Lukas 21, 28b). Nehmt den Blick vom Boden eurer Sorgen, Eurer Traurigkeit, Eurer Mutlosigkeit, von allem, was Euch beugt. Richtet den Blick nach vorn, nach oben zu den Hoffnungen, die ihr in Euch tragt, und zu den Versprechen Gottes, die uns gegeben sind: Dass nämlich er uns begleitet an jedem Tag und in jeder Nacht unseres Lebens, dass er bei uns bleibt, uns die Zukunft schenkt, dass er unseren Durst nach Leben stillt, dass er uns Frieden schenkt, auch Seelenfrieden, dass er die Angst überwindet, uns niemals fallen lässt, dass wir im Leben - und auch im Sterben! - von ihm gehalten sind. Richtet Euch auf und geht weiter im Vertrauen darauf, dass Ihr gehalten seid, was auch immer kommt.

„Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist“, so lautet ein Sprichwort. Aus dem Schweren heraus auf Gott zu hoffen, den Blick auf ihn zu richten, das kann unser Vertrauen zu Gott stärken. Und uns helfen, weiterzugehen auf unsere Hoffnung zu. Und Gott kommt uns selbst entgegen - „Siehe, dein König kommt zu Dir, ein Gerechter und ein Helfer“. Auch das ist Advent, Ankunft. Lassen wir uns von der Freude über die Ankunft Gottes in dieser Welt anstecken, mitten im Advent.

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6. Dezember 2020

„Es gibt viel Raum für Nikoläuse“
von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Heute ist Nikolaus. Viele Kinder freuen sich schon auf gefüllte Stiefel, Socken oder anders aufzufindende Gaben. Doch eigentlich sind die Nikolaus-Legenden keine Kindergeschichten. Ein Mann in verantwortlicher Position, mit Macht und privatem Vermögen lässt sich erschüttern von Notsituationen und hilft. Bei manchen Legenden wird sein Eingreifen geschildert als sichtbare Tat, in anderen Legenden wird sein Versuch betont, zu verbergen, dass die Wohltaten von ihm stammen.

„Das sind aber alles nur Legenden, Geschichten mit einem wahren Kern, aber erheblich ausgeschmückt.“ So könnten manche sagen. Ich kenne zum Glück Menschen, die ganz real für andere zum Nikolaus wurden, mit Gaben an Geld, an Zeit, an Mitgefühl. Und oft genug versuchen sie, ihren Einsatz zu verbergen oder herunterzuspielen. Das ehrt sie. Aber vielleicht wäre es in diesen Tagen wichtig, wenn es sichtbarer wäre, was sie tun. Dann könnten sie Vorbild sein und andere zur Nachahmung anstiften.

Denn die Notleidenden sind in diesen Tagen noch zahlreicher. Menschen, die durch Corona zu vereinsamen drohen. Beschäftigte auf Geringfügigkeit, für die es kein Kurzarbeitergeld gibt und deren Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung ohne Einnahmen nicht leisten können. Es gibt Geflüchtete, die isoliert sind von Begegnungen zum Spracherwerb oder der Möglichkeit, Beratung in Anspruch zu nehmen. Da sind die Menschen in anderen Teilen der Erde, mit denen wir in Partnerschaft verbunden sind, diese Partnerschaft aber nicht in Form von Begegnungen leben können. So bleiben uns manche ihrer Nöte verborgen oder wir scheuen Hilfeleistungen, weil wir in diesen unsicheren Zeiten lieber zusammenhalten, was wir haben.

Es gibt viel Raum für Nikoläuse, für Menschen mit Herz, die erst einmal hinhören und hinschauen, wo Not ist. Die dann überlegen, mit welchen Gaben an Kreativität, Zeit, Gespräch oder materiellen Gütern wirklich geholfen werden kann. Und die es dann auch wirklich angehen, nicht in Hoffnung auf Anerkennung oder Dankbarkeit, sondern aus einem Gefühl innerer Anteilnahme. Dabei spielt es keine Rolle, wie groß die Tat oder Gabe sei. Was immer wir aus Anteilnahme tun, verändert das Gesicht der Welt ein kleines Stück.

Und dem, der uns in dieses Leben gestellt hat und der in jedes Herz sieht und jede Tat kennt, wird es ein Lächeln auf das Antlitz zaubern!

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29. November 2020

Der Besuch Gottes
von Pfr. Jaime Jung, Erndtebrück

Es war einmal eine Frau. Der liebe Gott hatte ihr versprochen, sie an einem bestimmten Tag zu besuchen. Deshalb war sie sehr stolz und glücklich. Sie putzte das Haus, kochte was Gutes und deckte sogar den Tisch für den Besuch. Und dann fing sie an, auf Gott zu warten.

Auf einmal klopfte es an die Tür. Schnell öffnete die Frau, aber als sie sah, dass draußen nur ein armer Bettler stand, sagte sie: „Nein, geh‘ heute deinen Weg! Ich warte gerade auf Gott, ich kann dich nicht aufnehmen und dir nicht helfen!“ Und damit ließ sie den Bettler gehen und machte die Tür hinter ihm zu.
Nach einer Weile klopfte es wieder. Die Frau öffnete diesmal noch schneller als beim ersten Mal. Aber wen sah sie draußen stehen? Nur eine arme alte Frau. Die Hausfrau sagte ihr: „Ich warte heute auf den lieben Gott. Daher kann ich mich nicht um dich kümmern! Geh weiter!“ Und so machte sie der Alten die Tür vor der Nase zu und wartete wieder.
Nochmals etwas später klopfte es an die Tür. Es war ein zerrissenes Kind, das sich ein wenig Brot und um ein Dach über dem Kopf für die Nacht wünschte. Auch ihm sagte die Frau: „Ach, lass‘ mich in Ruhe! Ich warte auf Gott! Ich kann dich nicht bei mir aufnehmen!“ Und das Kind musste weitergehen.

Die Zeit verging, Stunde um Stunde. Es ging schon auf den Abend zu, und immer noch war Gott nicht zu sehen. Die Frau wurde immer unruhiger: „Wo bleibt er denn? Warum ist er nicht zu mir gekommen?“ Zum Schluss musste sie traurig zu Bett gehen. Bald schlief sie ein. Im Traum hörte sie eine Stimme: „Liebe Frau! Warum bist du traurig? Dreimal habe ich dich heute besucht und dreimal hast du mich vertrieben! Du hast mich nicht erkannt und hast mich nicht eingeladen, herein zu kommen.“

Wir können diese Frau gut verstehen. Wer würde Gott nicht gerne einmal begegnen? Auch ich würde ihn gerne einmal treffen.  Die Gefahr aber ist, wenn wir Gott begegnen wollen, dass wir übersehen, dass er uns bereits täglich begegnet: In unseren Mitmenschen, in dem Kind, das etwas von unserer Zeit haben möchte. Gott begegnet uns in dem alten Menschen, der unseren Besuch herbeisehnt. Auch in dem Freund, der sich über eine Einladung zum Abendessen freuen würde. Gott begegnet uns in dem unbekannten Menschen, der uns im Alltag trifft und dankbar unser freundliches Lächeln sieht.

Es ist nicht der Wille Gottes, nur deshalb an ihn zu glauben, damit wir einen Vorteil haben können. Gott wünscht sich, dass wir uns im Glauben an ihn um unsere Mitmenschen kümmern und sie glücklich machen.
Oft genügen bereits ein freundliches Wort, eine liebevolle Hilfe, ein strahlendes Lächeln, um dem Anderen den Alltag zu erleichtern und zu erhellen. Und dazu gehört auch, sich selbst anzunehmen, wie man von Gott liebevoll erdacht wurde.
Adventszeit ist Warte- und Vorbereitungszeit. Würde Gott heute zu Ihnen kommen, würden Sie ihm aufmachen?

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22. November 2020

„Der Sonntag, der uns den offenen Himmel malt“
von Superintendentin Simone Conrad

Heute ist Ewigkeitssonntag - Totensonntag sagt der Volksmund. Totensonntag, weil in den Kirchen und auf den Friedhöfen, daheim und in den Familien an die gedacht wird, von denen wir in diesem Jahr Abschied nehmen mussten.

Nun sind Abschiede ja immer schwer - aber in diesem besonderen Jahr 2020 scheint mir, dass die Abschiede noch schwieriger waren.
Da sind Menschen verstorben und die Angehörigen hatten keine Gelegenheit, sie im Krankenhaus oder im Pflegeheim zu begleiten - keine letzten Gespräche, keine Hand, die gehalten wurde. Da waren Trauerfeiern im kleinsten Kreis, Freunde, die an der Beerdigung nicht teilnehmen durften, Familien, die sich nicht gegenseitig halten und in den Arm nehmen durften. Abkündigungen in den Kirchen haben viele Wochen, in manchen Gemeinden erst Monate später stattfinden können. „Ich hätte mir so gewünscht, Du hättest mich in den Arm nehmen dürfen“ hat mir eine Angehörige am Rand einer Beerdigung gesagt.

In den letzten Wochen habe ich wahrgenommen, wie sehr Pfarrerinnen und Pfarrer sich bemüht haben, für diesen Ewigkeitssonntag gute Wege zu finden, dass Angehörige die Möglichkeit haben, ihre Trauer vor Gott zu bringen.
Dafür bin ich dankbar, denn es ist so wichtig, dass in diesem Jahr der erschütterten Rituale in allem, was anders ist, auch Vertrautes geschieht: den Namen hören dessen, der doch zu meinem Leben gehört hat; eine Kerze anzünden in der Kirche; ein Gebet sprechen in der Gemeinschaft derer, die vielleicht ähnliches fühlen.

Denn es ist ja nicht nur Totensonntag, es ist: Ewigkeitssonntag. Der Sonntag im Kirchenjahr, der uns den offenen Himmel malt und die Gewissheit gibt: wir sind gehalten, im Leben wie im Sterben. Der Sonntag, der uns zuspricht: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Der Gott des Lebens hat den Tod besiegt: Alles wird neu.

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15. November 2020

„Damit wir nie vergessen“
von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

„Wenn dein Kind dich morgen fragt: Wozu sind wir auf der Welt? Wenn es anfängt sich zu wundern, wenn es wissen will, was zählt.“ So hat es mal Heinz Rudolf Kunze formuliert. Und nicht nur er. Dieser Satz kommt schon in der Bibel vor: „Wenn nun dein Sohn dich morgen fragen wird“ (5. Mose 6, 20). Wie auch immer, in beiden Versionen geht es ums Weitergeben von Verantwortung, denn je nachdem, welche Antwort das Kind bekommt, wird es seine eigene Meinung zu einem Sachverhalt begründen.

Wenn dein Kind dich also morgen fragt: Was ist eigentlich „gedenken“ und warum machen wir das? Was sagst du denn dann? Ich hab‘ mich das gefragt. Und bin sofort daran hängen geblieben, was wohl der Unterschied zwischen „dran denken“ und „gedenken“ ist. Warum gibt es für Volkstrauertag, für Opfer und für Verstorbene ein extra Wort. Gedenken hört sich irgendwie würdevoller an, so mein erster Gedanke, eben vornehmer. Und das muss es ja sein, denn es ist schließlich eine ernste Angelegenheit, mit dem Erinnern an damals. Nicht vergleichbar mit einem schnell hinterhergerufenen: „Und denk dran, noch Milch einzukaufen.“ Ja, das könnte es sein. Gedenken heißt, den Blick weit genug haben und möglichst alles erfasst haben. Gedenken heißt: Ich erinnere an etwas aus der Vergangenheit, weil das für die Gegenwart und die Zukunft wichtig ist. Weil das verantwortungsvoll ist.

Wenn mein Kind mich also morgen fragt: „Warum gibt es diesen Tag? Es ist doch schon so lange her, da haben wir doch gar nichts mehr mit zu tun.“ Dann antworte ich: „Es gibt diesen Tag, damit wir nie vergessen, wie schrecklich Krieg und Gewalt sind.“ Und auch wenn der letzte Krieg in unserem Land schon 75 Jahre zu Ende ist, müssen wir immer wieder daran denken, dass so etwas nie wieder passieren darf. Denn nur in der Erinnerung an die Vergangenheit können wir in der Gegenwart für die Zukunft lernen.

„Ist es das, was wir glauben dürfen? Ist das, wie wir handeln können? Ist das so, wie wir leben sollen?“ So geht es in dem Lied von Heinz Rudolf Kunze weiter. Aus dem Gedenken ziehen wir Folgerungen für unser Handeln heute. Sollten wir jedenfalls, denn sonst macht es keinen Sinn.

Die Erinnerung an Krieg und die vielen Opfer, an Gewalt und sinnloses Blutvergießen spornen an, die Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben zu übernehmen. Jetzt, denn es ist dringend!

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8. November 2020

„Gott ist an unserer Seite“
von Pfrn. Christine Liedtke, Girkhausen

Ja, es reicht! Wir sind müde geworden. Nicht schon wieder Lockdown, nicht schon wieder alle Veranstaltungen absagen, nicht schon wieder das Virus als Schreckgespenst groß werden lassen, nicht schon wieder überall Ausnahmesituation, immer noch zurückweichen, wenn mir jemand näher rückt, nach Alltagsmasken kramen, Desinfektionsmittel dabeihaben! Der Cartoonist „Krieg und Freitag“ twitterte gerade: „Also, für meinen Geschmack sind zu meinen Lebzeiten jetzt genug Sachen passiert, die in Geschichtsbüchern landen werden.“ Er ist 38. Wie recht er hat! Aber: ein Ende ist nicht in Sicht: Was wird uns das Corona-Virus noch auferlegen? Wie geht es weiter in den USA? Wie viele Terroranschläge gibt es noch? Wie wird es mit dem Wald? Mit unserem Klima? Welche Katastrophen kommen noch? Wie viele Menschen müssen sich beruflich neu orientieren? Wie hoch ist der seelische Schaden bei Kindern und Jugendlichen, entstanden durch die lange Schließung der Kitas und Schulen? Wie hat sich unsere Gesellschaft verändert, derart, dass sie nicht wieder so wird wie vorher? Wie haben wir uns verändert? Und ich mich auch?

Wir schreiben Geschichte. Aber nicht fröhlich, voller Tatendrang. Eher müde, resigniert, wütend, traurig, verzweifelt. „In der Welt habt ihr Angst“, lese ich im Johannes-Evangelium. Ja, so ist es! Hier wird nicht drumherumgeredet: Leben bedeutet eben auch Angst haben, verzweifelt sein, mutlos werden, scheitern. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. Dann kommt Gott sei Dank ein Aber! Jesus sagt weiter: „Aber seid getrost.“ Lasst euch nicht entmutigen, ihr braucht euch nicht zu fürchten. Jesus nennt den Grund für unsere Zuversicht: „Ich habe die Welt überwunden.“ Andere übersetzen: Ich habe die Welt besiegt.

Also: da gibt es einen, der meine Angst kennt, der mir Mut zuspricht, der über den Dingen steht; nicht, weil sie ihn nichts angehen, sondern weil er ganz und gar hindurchgegangen ist. Jesus ist als Mensch geboren worden, lebte in dieser Welt, erzählte von Gott, wirkte Heilung und Heil, starb am Kreuz und zeigte mit seiner Auferstehung: Der Tod ist besiegt. Diese Welt braucht uns nicht mehr Angst zu machen. Gott hält sie in seinen Händen. Er ist stärker als der Tod. Er steht als Schöpfer, Bruder und bewegende Kraft an unserer Seite. Ein für allemal hat er gesagt: Es reicht! Ihr braucht den Tod nicht mehr zu fürchten! Ich bin da! Ihr habt Angst. Aber verliert nicht den Mut: diese Welt ist nicht alles.

In Gottesdiensten, die wir trotz Auflagen mit Abstand zueinander feiern, vergewissern wir uns dieser großen Hoffnung und Zuversicht, die uns getrost sein lässt und mutig - und gelassen, geduldig, barmherzig, verzeihend: Gott ist an unserer Seite. Und dieses Virus ist in seiner Hand. Uns tröstet Jesu Wort: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.

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1. November 2020

„Wir sind gefragt“
von Pfrn. Silke van Doorn, Dreis-Tiefenbach

Am Vorabend vor Allerheiligen, dem All Hallow`s Eve (Halloween), vor 503 Jahren startete die Reformation der verkrusteten Strukturen der 1500 Jahre alten Kirche hammerdonnernd. Theologieprofessor Martin Luther wollte eine akademische Diskussion anregen, um klar zu machen: Sündenerlass kann kein Mensch mit Geld erkaufen. Der feste Grund, dass alle Menschen Gnade bekommen, wenn sie glauben, ist gelegt und nicht käuflich. Liebe ist nicht käuflich.

Eine der anrührendsten Szenen im Lutherfilm von 2003 ist die, in der eine sichtlich arme Mutter für ihre behinderte Tochter, die sie zärtlich mit sich trägt, nach einer Ablasspredigt den Ablassschein kaufen will. Behindert war gleichgesetzt mit Sünder. Luther tritt ihr entgegen. Mit der ganzen Vollmacht seines Glaubens sagt er ihr zu, dass die Tochter längst angenommen ist. Keine Sünde auf ihr liegt. Und dass sie das Geld doch lieber für Brot verwenden soll. Denn ihr Glaube daran, dass Jesus ihr und ihrer Tochter hilft, ist das Entscheidende. Welche Last fiel von der Frau ab. Ihr Aufatmen und Freiwerden war sicht- und spürbar. Der damaligen Kirche wurde durch diese Predigt Luthers eine Einnahmequelle genommen. Doch für die Gläubigen wurde Kirche wieder vertrauenswürdiger. Kirche ist für die Menschen da, nicht die Menschen für die Kirche.

Die Kirche soll spätestens seitdem eine ecclesia semper reformanda sein - eine sich ständig erneuernde Kirche. Das heißt nicht, dass sie sich beständig selbst bespiegeln muss. Doch sie muss sich nach den Aufgaben im Jetzt für die Menschen befragen lassen: Jetzt ist eine weltumspannende Pandemie, die nicht nur sehr viele Menschen erkranken lässt und Todesopfer fordert. Sie macht vielen die Seele krank. Menschen vereinsamen, finden keinen Halt, sind verunsichert. Menschen durften nicht mehr besucht werden in Altenheimen und Krankenhäusern, starben allein. Wir als Kirche haben nicht aufbegehrt. Kunst- und Kulturschaffende sind bei den Unterstützungszahlungen oftmals nicht berücksichtigt - weil die Voraussetzungen fehlen. Wozu ruft uns Gottes Wort in dieser Zeit? Der Prophet Micha schreibt im 6. Kapitel: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Auch das ist einfach und schwierig zugleich. Sicher ist eines: Liebe zu üben zeigt sich gerade in den kleinen Dingen des Lebens. Was das jeweils konkret heißt, erkennt man, wenn man aufmerksam mit Gott mitgeht, also sich an ihm orientiert und seine Augen offenhält für das, was je gefragt ist.

Wie können wir heute Menschen beistehen wie Luther der Mutter? Dass sie gestärkt werden und zuversichtlicher, dass sie satt werden und nicht hungern - nicht nach Brot, nicht nach Anerkennung, nicht nach Zuwendung. Wir sind gefragt zu hören, zu sehen, zu beten und zu handeln.

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25. Oktober 2020

Trost ist nicht gleich Trost
von Pfrn. Claudia de Wilde, Hemschlar

Viele haben schon einmal eine Situation erlebt, in der sie sich klein und machtlos fühlten. Manchmal stecken wir in etwas Schwerem und können uns aus eigener Kraft nicht heraushelfen. Der Verlust des Jobs, und wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Finanzielle Engpässe, in denen jede neue Rechnung eine zu viel ist. Krankheitstage, deren Ausgang nicht absehbar ist. Ein Abschied von einem geliebten Menschen, der eine Lücke hinterlässt. Was hilft uns dann? Wo finden wir Trost?

Es ist schön, wenn andere uns helfen wollen. Das kennen wir auch - ein aufmunterndes „Kopf hoch, wird schon wieder!“, oder ein ermutigendes „Das schaffst du schon!“, ein „Ist doch alles nicht so schlimm!“ oder „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Aus meiner Kinderzeit habe ich auch im Ohr: „Bis zur Hochzeit ist alles vergessen!“ Dumm nur, wenn die noch in weiter Ferne liegt. Mancher gut gemeinte Trost kommt nicht wirklich an - wir fühlen uns dann mit unserem Kummer, unserer inneren Not nicht ernst genommen, und wenn überhaupt, hilft es uns nur einen kleinen Moment lang.

Aber auch ehrlich empfundenes Mitleid hilft uns oft nicht weiter. Einerseits tut es gut, in unserer Hilflosigkeit gesehen zu werden, andererseits kann Mitleid auch dazu führen, uns darin festzuhalten. „Du tust mir ja so leid“ ist eben kein Satz, der uns ermutigt, um wieder aufzustehen und weiterzugehen. Eine gute Freundin von mir, die eine fortschreitende chronische Erkrankung hat, wird wütend bei solchem Mitleid. „Das kann ich nicht gebrauchen, das hilft mir doch überhaupt nicht weiter!“ Sie freut sich, wenn jemand sie motiviert, mit den zunehmenden Einschränkungen leben zu lernen, das Leben so anzunehmen und trotzdem und in allem Schweren weiterzumachen - und sie selbst zu bleiben, mit ihrer Lebensfreude und manchen überraschend humorvoll gemeisterten Erlebnissen.

Wir brauchen Trost, der uns weiterbringt und durchträgt. Trost, der uns zum Durchhalten und Weiterleben hilft, damit wir an dem Schweren nicht zerbrechen. Von Gott wird in der Bibel erzählt, dass er so trösten kann. „Gott spricht: Sie werden weinend kommen, aber ich will sie trösten und leiten“ (Jeremia 31, 9). Das ist der Monatsspruch für diesen November. Mitten in allem Schweren können wir Trost bei Gott suchen. „Trösten und leiten“ bedeutet auch, in dem Schweren an unserer Seite zu bleiben, und gleichzeitig in eine leichtere Zukunft zu führen. Leichter, weil die Situation sich zum Besseren ändert, wir mit unserer Trauer leben lernen, eine Krankheit abklingt. Vielleicht auch deshalb leichter, weil wir wissen, dass Gott mitgeht und wir gesehen werden.

Wenn Sie das nächste Mal Trost brauchen, wünsche ich Ihnen ermutigende Menschen an Ihrer Seite, vor allem aber den Trost, den Gott schenkt.

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18. Oktober 2020

Selbst das Unberechenbare liegt bei Gott
von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Was soll ich nur nehmen? Krawatte oder Menopause? Oder doch die Tabellenkalkulation? Dann doch wohl eher die Beseitigung der Armut… Auf der Suche nach einem Thema fürs Angedacht lande ich auf einer Homepage, die mir die Aktions- und Gedenktage im Oktober vor Augen führt. Und da stehen eben genau diese Themen zu diesem Wochenende aufgeschrieben. Ist ja interessant, was man so alles zum Tagesmotto machen kann. Wahrscheinlich sollte ich den Tag der Beseitigung der Armut nehmen. Aus meinem Gefühl der gesellschaftlichen Verantwortung heraus. Denn ich kann mich nicht so richtig zwischen der Krawatte und der Menopause entscheiden. Beides keine leichten Themen und so einseitig. Ach nein, ich nehme die Tabellenkalkulation. Das ist doch ein guter Aktionstag am 17. Oktober.

Also, kalkulieren wir mal: Die Kaffeemenge am Morgen und pro Tag, Energie für Arbeit und Freizeit, Pausen und Lüftungszeiten pro Quadratmeter und Kopf. Es gibt viel zu kalkulieren und abzuwägen. Kosten - Nutzen, schwarz - weiß, gut - schlecht. Und wenn man kalkuliert, dann ist man vorbereitet. Eventualitäten sind eingeplant und wichtig fürs Ergebnis. Hauptsache der Faktor stimmt.

Während ich so übers Kalkulieren nachsinne, kommt mir eine Postkarte in den Sinn, die ich mal irgendwo gesehen habe. „Glück ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt!“ stand darauf. Glück ist also ein ganz besonderer Faktor, gehorcht nicht den üblichen Rechengesetzen. Glück ist unberechenbar und damit keine vertrauenswürdige Größe. Irgendwie willkürlich. Aber Glück ist schön und wenn ich es teile, dann wird es doppelt so viel. Also, wenn ich glücklich bin, dann möchte ich, dass andere es auch sind. Das ist doch mal ein guter Plan für den Tag. Dann schreibe ich das Angedacht also zum Thema „Glück und Kalkulieren und Teilen“ - geht alles in einem. Und ich finde sogar einen Bibelvers dazu: „Zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Kampf hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; dass einer angenehm sei, dazu hilft nicht, dass er etwas gut kann, sondern alles liegt an Zeit und Glück.“ (Prediger 9, 11)

Ist das nicht großartig? Selbst das Unberechenbare liegt bei Gott. Alles dient dazu, dass wir als Menschen uns selbst genug sind. Weil er uns geschaffen hat. Und alles andere bringt die Zeit und das Glück! Amen.

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11. Oktober 2020

„Herr, führe mich zu Dir“
von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

„Bist Du mit Deinem Lebensweg zufrieden?“ Mit 61 Jahren stellen Freunde schon mal solche Fragen. Oder man stellt sie sich selbst. Mein Leben ist in anderen Bahnen verlaufen, als ich es mir erträumt hatte. Gott sei Dank! So an vielen Punkten mein Fazit. Gott sei Dank habe ich nicht meinen Jugendwunsch verfolgt, Astronaut zu werden. Niemand wäre für den Job so ungeeignet gewesen wie ich. Auch mein späterer Traum von einer Greencard, um in den USA Pfarrer zu werden, ging nicht in Erfüllung. Heute bin ich dankbar, nicht unter dem derzeitigen Präsidenten in Amerika leben zu müssen. Auch die Enttäuschung, wegen fehlenden Geldes nicht in Otjiwarongo Pfarrer werden zu dürfen, hatte ihr Gutes: eine wichtige Diagnose wäre sonst nie gestellt worden. Die Liste ließe sich fortsetzen. Enttäuschungen sind mir nicht erspart geblieben. Aber ich habe entdeckt, immer wieder erlebt, dass aus dem scheinbar Enttäuschenden viel Segensreiches erwachsen ist.

Und noch etwas habe ich erlebt: Die Wege, auf die ich gestellt wurden, gaben mir die Chance, wichtige Aufgaben wahrzunehmen, neue Fähigkeiten zu entdecken und mich so weiter zu entwickeln, mich einsetzen zu können für Menschen in schwierigen Lebenssituationen.

Aus dem Besuch der Malche, einem christlichen Jugendtreff, nahm ich eine Karte mit, die auf meinem Schreibtisch stand und mich viele Jahre begleitet hat. „Herr, führe mich freundlich durch diese Zeiten, vor allem aber führe mich zu Dir.“ Fast jeden Tag habe ich diesen Spruch gelesen und ihn mein Gebet sein lassen. Nach vielen Jahren wage ich zu sagen, dass die Wege nicht immer freundlich gewesen sind, aber sie haben mich Ihm näher gebracht.

Darum steht für mich die Antwort fest auf die Frage, ob ich mit meinem Lebensweg zufrieden bin. Ja, ich bin zufrieden. Vieles ist anders gekommen, als ich es mir erträumt habe. Aber ich bin reich beschenkt worden, weil ich mich habe lenken lassen im Vertrauen darauf, dass Gott es ist, der mich führt und meine Schritte lenkt.

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4. Oktober 2020

Der 3. Oktober ein Grund zum Feiern
von Jugendreferent Daniel Seyfried, Girkhausen

Der 3. Oktober - ein Grund zum Feiern? Immer weniger Leute können mit dem Tag der Deutschen Einheit etwas anfangen. Das Interesse an diesem historischen Tag deutscher Geschichte schwindet zusehends. Stattdessen hört man, wie die Unzufriedenheit zunimmt. Ja, auch 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gibt es zwischen Ost und West noch teils große Unterschiede. Und der anfangs starke Jubel für Freiheit und Demokratie schlug im Laufe der Zeit mancherorts in Enttäuschung und Resignation um.

Der 3. Oktober - ein Grund zum Feiern? Ja, unbedingt. Schließlich ist die Wiedervereinigung das Ergebnis einer friedlichen Revolution. Allein das ist doch außergewöhnlich. Unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ haben sich Menschen zu Demonstrationen versammelt. In den Kirchen fanden Montagsgebete unter Beteiligung tausender Bürger statt. Und auf der anderen Seite standen staatliche Sicherheitskräfte bis an die Zähne bewaffnet. In dieser aufgebrachten Stimmung war es schon ein wahres Wunder, dass es weitestgehend friedlich blieb.

Ja, der 3. Oktober ist ein Grund zum Feiern. Einerseits gegen das Vergessen und in Erinnerung an den Mut der Bürger und an das, was sie zusammen geleistet und erreicht haben. Andererseits ist das Feiern immer auch Ausdruck des Dankes gegenüber Gott. Denn gerade in der Wendezeit ist Gottes Wirken deutlich spürbar gewesen. Ich bin davon überzeugt, dass Gott seine Hände im Spiel hatte, etwa bei der Antwort von Günter Schabowski bei der Pressekonferenz oder bei der Grenzöffnung an der Bornholmer Straße, wo wegen der Kontrollen und der als ungültig abgestempelten Reisepässe absolutes Chaos herrschte.

Somit ist der 3. Oktober auch ein Grund zum Feiern, dass wir einen lebendigen Gott haben, mit dem wir reden können, der eingreift und handelt. Gottes Wirken ist manchmal so überraschend und zugleich so unscheinbar. Oft wird einem erst im Nachhinein klar, wo und wie Gott eingegriffen hat. Das macht mir Mut, auf Gottes Gegenwart zu trauen, mit ihm in Kontakt zu bleiben, auch in den schwierigen Zeiten auf ihn zu hoffen. So sagt es auch der Beter des 27. Psalms in Vers 7: „Der HERR ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn traut mein Herz und mir ist geholfen. Nun ist mein Herz fröhlich, und ich will ihm danken mit meinem Lied.“

Der 3. Oktober ein Grund zum Feiern. Für mich als Ossi allemal. Ich habe mit meiner Frau daran gedacht, dass wir uns nie kennengelernt hätten, wenn es den Mauerfall nicht gegeben hätte. Wir haben festgestellt, wie gut es uns in Deutschland geht und wie wertvoll Freiheit und Demokratie sind.

Ja, wir haben den 3. Oktober gefeiert, den Tag der deutschen Einheit. Nicht laut, aber in Dankbarkeit gegenüber unserem Herrn.

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27. September 2020

Ein Gebet für den Ort, für die Stadt
von Pfrn. Claudia de Wilde, Hemschlar

Meine Oma konnte im Alter in manchen Nächten keinen Schlaf finden. Sie lag dann wach, und ich stelle mir vor, dass ihr Erinnerungen durch den Kopf gingen. Als junge Frau war sie mit ihren vier Kindern aus Ostpreußen geflüchtet - in eine unbekannte Zukunft, ohne festes Ziel, angewiesen auf die tatkräftige Hilfsbereitschaft anderer, noch mitten in Kriegszeiten. Sie hat auf Gott vertraut, und die Wege öffneten sich: ein neues Zuhause, ihr freundlich zugetane Menschen, eine Gemeinschaft von Christen. Die Kinder, zwei Jungs und zwei Mädchen, hat sie durchgebracht. Sie konnte miterleben, wie alle vier heirateten und Kinder bekamen. Sieben Enkelkinder hat sie heranwachsen sehen. Was für ein Trost nach den schweren Anfängen.

Wenn meine Oma nachts nicht schlafen konnte, dann hat sie gebetet. So ist sie nicht in den eigenen Sorgen versunken. In Gedanken ist sie, das hat sie manchmal erzählt, ihre Lieben durchgegangen: Die Kinder und Schwiegerkinder und die Enkelkinder, Freunde und Bekannte. Für sie alle hat sie dann gebetet in solchen Nächten, dass Gott bei ihnen ist und bleibt, dass er sie begleitet auf dem Lebensweg, dass er ihnen hilft in schwierigen Situationen. 

Das Gebet für andere, die Fürbitte, ist uns ans Herz gelegt. Die Bibel berichtet an vielen Stellen davon und ermutigt uns auch, füreinander zu beten. Im Monatsspruch für Oktober ist es sogar ein Auftrag, für den Ort, die Stadt zu beten, in der wir leben: „Sucht den Frieden der Stadt, und betet für sie zum Herrn! Denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben.“ (Jeremia 29, 7) Für eine Stadt beten? Das klingt zunächst fremd. Aber warum eigentlich nicht - für Frieden und Sicherheit, ein gutes Miteinander, aber auch für die, die in dieser Stadt Verantwortung tragen - in Politik und Bildung, in Arztpraxen und Kliniken, in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen, in Kirchen und Vereinen, in Polizei und Rettungsdiensten, und natürlich auch in Betrieben und Familien…

Und nicht nur die Verantwortungsträger brauchen unsere Unterstützung. Wenn jeder die ins Gebet nimmt, die er aus seinem Umfeld kennt, dann wird vielleicht für jede und jeden am Ort gebetet - auch für die, die einsam sind oder krank, die sich sorgen um die Zukunft, die es schwer haben im Miteinander, die sich nicht mehr gut zurechtfinden. Auch für die Gäste, die als Patienten oder Touristen hier sind, und für die Geflüchteten, die nach schweren Wegen ein neues Zuhause suchen und auf unsere Bereitschaft dazu angewiesen sind.

Wenn Sie das nächste Mal wach liegen und nicht schlafen können, dann nehmen Sie doch einfach die Menschen unserer Stadt ins Gebet. Unserem Miteinander tut das sicher gut: „Sucht den Frieden der Stadt, und betet für sie zum Herrn! Denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben.“ Machen Sie mit?

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20. September 2020

Vertrauen braucht Gespräch und Offenheit
von Pfrn. Simone Conrad, Wingeshausen

Im Ruhrgebiet, genauer gesagt in Wattenscheid, wohnt eine Tante von mir. Eine reizende, bodenständige alte Dame. Und wenn ich sie besuche, verbinden wir das oft mit Erledigungen, Einkäufen und mehr. Dabei passiert es mir häufig, dass mir meine Tante einfach ihr Portemonnaie in die Hand drückt und sagt: „Hier nimm mit, bezahl' du.“ Oft habe ich eingewendet: „Magst du mir nicht statt der ganzen Geldbörse nur so viel mitgeben, wie ich ungefähr brauche?“ „Ach Quatsch Kind, nimm die Börse mit. Ich vertraue dir.“

Vertrauen - ein so kostbares Gut, eines das wachsen muss und gepflegt werden - und das doch so schnell beschädigt werden kann.

Vertrauen - darum warben in den vergangenen Wochen auch Politiker und Politikerinnen im Kommunalwahlkampf, das brauchen alle, die für andere organisieren, denken, gestalten.

Vertrauen - auch bei der Synode unseres Kirchenkreises am vergangenen Mittwoch fiel dieses Wort immer wieder. Jede Wahl ist ein Vertrauensbeweis - wie auch alle Zusammenarbeit, gerade auch in neuen Strukturen, Vertrauen benötigt. Überall, wo wir miteinander leben und arbeiten, müssen wir einander vertrauen können - ein grundsätzliches Misstrauen führt zu Distanz und verhindert Annäherung.

Vertrauen - das braucht Gespräch und Offenheit, Kritik, die aus der Wertschätzung lebt und die Gewissheit, dass ich nicht im Stich gelassen werde. Vertrauen braucht Erwiderung und positive Erfahrungen, sonst verkümmert es.

„Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut“ heißt es in dem Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von Georg Neumark. Hier ist der eine, der uns Ur-Vertrauen schenkt, dem wir bedingungslos und immer vertrauen können: Gott, der es gut mit uns meint. Im Vertrauen auf seine Gegenwart dürfen wir fröhlich unseren Lebensweg gehen, im Vertrauen auf ihn auch Kirche gestalten. Er ist mit unterwegs, auf ihn ist Verlass. Trauen wir ihm doch etwas zu!

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13. September 2020

„Ich lebe und ihr sollt auch leben“
von Pfr. Thomas Janetzki, Wingeshausen

Was für turbulente Zeiten: Das Thema „Corona“ ist wieder neu in aller Munde; Gerichte lockern Verbote, die ihnen unangemessen erscheinen; Schulen ringen um ihren Präsenzbetrieb; über Impfungen und ihre Zielgruppen wird diskutiert… Außerdem stehen große Entscheidungen für die zukünftigen Wege an: Heute politisch in den Kommunalwahlen, kommende Woche in unseren kirchlichen Kreissynoden...

Und manche fragen sich: Was ist hier nun richtig? Ich persönlich finde dabei das Bibelwort „Ich lebe und ihr sollt auch leben“ aus dem Johannes-Evangelium mutmachend. Es weckt aber auch Erwartungen in vielen, die es lesen oder hören: Hält es, was es verspricht? Hält er, was er uns da verspricht?

Nur so dahingesagt ist dieser Satz von Jesus jedenfalls nicht. Denn seinen eigenen Tod vor Augen, spricht Jesus vom Leben - von seinem Leben und vom Leben derer, die zu ihm gehören, von unserem Leben. Damals muss das seinen Jüngerinnen und Jüngern absurd vorgekommen sein. Und das Kopfschütteln ging und geht weiter, bis zu der Frage: Ist das nicht ein schwacher Trost - oder ist das vielleicht der einzige richtige Trost? Jesus redet hier mit denen, die zu ihm gehören. Er versichert sie seiner Liebe und sagt ihnen, wie sie leben können, auch wenn er nicht mehr bei ihnen ist: Indem sie versuchen, seine Gebote zu halten und um seinen guten Geist für ihre Entscheidungen bitten.

Wir heute leben in der Zeit, wo er anders bei uns ist: in der Zeit des Trösters, des Geistes der Wahrheit. Jesus sagt: Ihr müsst keine Angst haben, nicht unsicher sein! Ihr könnt leben! Ihr könnt meinem guten Geist vertrauen: An Gott festhalten, wenn es schwierig ist; zu ihm zurückkehren, wenn die Beziehung abgerissen ist, sich an ihm freuen in guten Zeiten - so wirkt mein Geist. Ihr könnt wahrhaftig sein, die Lasten anderer tragen, Verzagtheit überwinden, Kraft und Mut und Zuversicht finden - so lebt mein Geist in Euch. Er wohnt bei Euch, damit ihr leben könnt - und lieben. So wie ich gelebt und Euch geliebt habe.

Und was für ein Leben meint er? Ein Leben, das nicht nur für sich selber da ist, das sich nicht nur um meine Sicht der Dinge dreht, sondern mit anderen und für andere gelebt wird, Leben in Gemeinschaft, in der Gemeinde, in unseren Dörfern und Städten - mittendrin… Aber auch ein Leben, das immer auf dem Weg in die Zukunft ist - in Gottes Zukunft mit uns.

Wer so lebt, hat durch den Geist Anteil am Leben Jesu, er lebt und liebt jetzt und heute, ist mit Menschen auf dem Weg, setzt sich für Wahrheit ein, muss nicht seine Meinung um jeden Preis durchsetzen, sondern kann zuhören, Kompromisse eingehen. Warum? Weil er weiß, dass nicht alles in seiner Hand liegt, sondern dass wir beschützt und geborgen sind in der Hand dessen, der da sagt: Ich lebe und ihr sollt auch leben!

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6. September 2020

Ehre für graue Häupter?
von Pfrn. Silke van Doorn, Bad Laasphe

Unsinn ohne Ende hat er in seinem Leben produziert. Gestern wurde er 85 Jahre alt und ich möchte Dieter Hallervorden herzlich gratulieren. Vor 45 Jahren habe ich ihn durch diese Quatsch-Fernseh-Serie „Nonstop Nonsens“ kennengelernt, lachte damals über ihn und seine Scherze und fand ihn ziemlich, nun ja: dumm. Wahrscheinlich habe ich nur die Blödelei gesehen.

Doch älter geworden hat bei allem Humor der Tiefgang deutlich zugenommen, sodass auch ich verstand. Spätestens mit „Honig im Kopf“ dem Film, in dem Herr Hallervorden einen an Alzheimer erkrankten Mann spielt, ist deutlich, dass er mit seiner Kunst einen anderen Blick auf schwere Lebenssituationen bringt. Er hat vielen geholfen, mit der Betreuung so schwer erkrankter Angehöriger ein bisschen einfacher umzugehen - für einen Moment.

Kreative Lösungen hat er gerade in seinem Theater in Berlin für Wiederkehr der Kunst auf die Bühne gefunden: Vor zwölf Jahren hat er das Schlosspark-Theater vor dem Verfall gerettet. In Corona-Zeiten hat er es schnell zu einem sicheren Auftrittsort gemacht. Nun, in seinem neuen Stück, schlüpft er in Gottes Haut: „Gottes Lebenslauf“ heißt es. Gestern Abend wurde es in Berlin uraufgeführt. Gott muss sich rechtfertigen: Was hat er alles zugelassen? Es sind die Fragen, die uns zu jeder Zeit, wenn wir Leid ertragen müssen, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, quälen. Sicherlich wird Hallervorden bei aller Leichtigkeit tiefe und melancholische Gedanken spielen. „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren“ heißt es im 5. Buch Mose. Bei Hallervorden stimmt es. Leider ist nicht jedes graue Haupt eines, das wir ehren können. Woran erkennen wir das zu ehrende graue Haupt? An der Weisheit. Was sagt die Bibel über die Weisheit? Dass sie nach dem anderen schaut, dass sie sich für die Schwachen ins Zeug legt, dass sie sich selbst kritisch, aber mit Humor anschaut.

Es ist vielleicht das, was wir lernen können an den durchs Leben gegangenen Alten: Dass sie unser Reichtum sind mit ihrer Lebenserfahrung und dem, was sie uns weitergeben - gerade in schweren Zeiten. Und dass wir einen Bogen spannen zwischen den Generationen, wenn die Junge den Alten an die Hand nimmt und zur Heilung führt. Und selbst heiler wird.

Ich freue mich an dem grauen Haupt, von dem ich lernen kann - als selbst ergrauendes Haupt.

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30. August 2020

Kein Kontaktverbot bei Gott
von Pfrn. Claudia Latzel-Binder, Bad Berleburg

Wann haben Sie zuletzt jemanden die Hand gegeben? Wann haben Sie einen Bekannten das letzte Mal in den Arm genommen? Zu den sinnvollen Hygieneregeln in der Corona-Zeit gehört das soziale Abstandhalten. Das ist richtig und notwendig. Und wir üben uns seit Monaten darin und finden es zugleich doof, Körperkontakt mit anderen als gefährlich zu verstehen und nicht einmal mit einer kleiner Geste Zuwendung, Sympathie oder Trost auszudrücken.

Ich frage mich, wie das Covid-Virus unseren Umgang miteinander verändern wird und was das mit uns macht. Angenehme Berührungen ob Massagen oder eine einfache Umarmung tun uns gut; fehlen sie, fühlen wir uns schlechter. Es ist nachgewiesen, dass der Körper bei Berührungen Glückshormone und Neurotransmitter ausbildet, die die Stimmung aufhellen und Stress und Ängste abbauen.

Die Haut ist unser größtes Sinnesorgan und dasjenige, welches als erstes ausgebildet wird. Schon der Embryo berührt sich selbst im Mutterleib immer wieder im Gesicht, wohl um sich zu beruhigen. In Zeiten, in denen die Mutter angespannt ist, berührt er sich häufiger als in denen, in denen sie entspannt ist. Säuglinge und Kleinkinder, die zu wenig Körperkontakt haben, verkümmern in ihrer Entwicklung. Und der Tastsinn ist überaus erstaunlich. Wir spüren Dinge, die wir mit den Augen nicht wahrnehmen können. Wir können zum Beispiel den Anfang bei einer Rolle mit durchsichtigem Klebeband ertasten, auch wenn wir ihn nicht sehen.

Mit solchen Gedanken im Hinterkopf fallen mir zurzeit besonders die Bibelstellen auf, in denen Jesus Menschen berührt, ihnen die Hand auflegt, sie herzt. Glaube will ja auch erfahrbar, fassbar sein, muss selbst gespürt werden und hat etwas damit zu tun, berührt zu sein von Gott. Und Jesus berührte die Menschen, die ihn erlebten und hörten, die begriffen, was sie ergriffen hatte: die heilsame und wohltuende Nähe Gottes. Fehlt dieser unmittelbare Kontakt, verkümmert der Glaube. Also ist es gut, sich immer wieder in seine Nähe zu begeben, die nicht gefährlich, sondern heilsam ist. Nur, wie spürt man Gott?

Wir können das mit allen Sinnen: Wenn wir eine berauschende Landschaft oder ein eindrückliches Kirchenfenster sehen, wenn wir eine kluge Predigt oder eine bewegende Kirchenmusik hören und genauso, wenn wir uns im Gebet von Gott in den Arm genommen wissen oder uns in seine Liebe hineinlegen wie in eine große ausgestreckte Hand.

Wann hatten Sie das letzte Mal Gänsehaut, weil Sie Gott gespürt haben? Ich hoffe, es ist nicht so lange her wie das letzte Händeschütteln. Wenn doch, puddeln und kniddeln Sie doch wieder an diesen Erfahrungen wie an einer festsitzenden Klebebandrolle. Man sieht den Anfang vielleicht noch nicht, aber es löst sich dann doch und man kann Stückchen um Stückchen daran ziehen, Gott zu spüren und sich von ihm berühren zu lassen.

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23. August 2020

„Wo erleben Sie die Nähe Gottes?“
von Pfrn. Claudia de Wilde, Hemschlar

Begleiten Sie mich? Ich bin auf der Suche. Ich suche etwas und finde immer wieder Bruchstücke davon: In Begegnungen mit anderen Menschen, in Büchern, in Liedern, in meiner Lebensgeschichte. Und immer wieder auch in der wundervollen Landschaft, die uns hier umgibt. Ich finde etwas davon, wenn Musik meine Seele berührt, wenn ein zutraulicher Hund sich von mir streicheln lässt, wenn ich mich daran freue, wieder schwimmen gehen zu können. Oder wenn eine Freundin mir ihre bildreichen Träume erzählt und wir gemeinsam nachspüren, was sie ihr sagen wollen.

Aber oft ist das Finden eher zufällig, und ich hätte gern mehr davon. So wie man im Herbst Brombeeren findet an Büschen, die man bis dahin noch gar nicht kannte, und ein bisschen davon nascht. Das ist schön und macht Lust auf mehr. Und ich lächle in Erinnerung an die wundervolle Brombeermarmelade einer lieben alten Dame - die Fülle des Sommers eingefangen im Reichtum der Beeren. So möchte ich finden, in Fülle und Reichtum. Denn ich bin auf der Suche nach Gott. Kann ich bitte mehr davon haben?

Ja, ich freue mich mit vielen anderen daran, dass nach der langen Pausenzeit vieles an Begegnungen, Andachten und Gottesdiensten seit einiger Zeit auch in (oder vor) der Kirche wieder geht - mit einem guten Schutzkonzept und wegen der momentanen Entwicklungen noch immer sehr vorsichtig. Ich freue mich daran, dass manche Runde, die in den letzten Monaten nur virtuell per Video-Konferenz tagen konnte, sich jetzt wieder in echt trifft. Immerhin haben wir so gelernt, dass Andachten, Gottesdienste, gemeinsames Beten, Anteilnahme und Trost auch virtuell möglich sind. Aber irgendwie mehr davon, ein dichteres Erleben, eine unmittelbare Erfahrung der Nähe Gottes?

Ich lese gerade viel darüber. Ich probiere es aus. Zeiten der Stille, des Gebetes, die kannte ich bisher auch. Aber jetzt bekommt das noch eine neue Dimension. Der Atem verbindet mich mit Gott: Ich bin eines seiner Geschöpfe. Und er ist mir und jedem von uns nahe in jedem Augenblick. „Gott ist nicht fern von jedem von uns. Denn in ihm leben wir und bewegen uns und sind wir“, formuliert Paulus es in einer Rede (Apostelgeschichte 17, 27f). Nur ein Dran-Denken, ein Moment der Stille, des Besinnens. Nur ein Gebet, vielleicht noch nicht einmal das, ein bewusstes Dasein vor Gott im Hier und Jetzt. Den Reichtum der Nähe Gottes erfahren, dazu braucht es gar nicht viel. „Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“ (Jeremia 29,13f). Machen Sie sich mit mir auf die Suche: Wo erleben Sie die Nähe Gottes in Ihrem Leben? Dass das Finden ertragreich wird wie Brombeermarmelade.

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16. August 2020

Nicht perfekt - und genau richtig!
von Pfr. Jaime Jung, Erndtebrück

Aus was ganz Einfachem kann was überraschend Schönes entstehen. Zum Beispiel, wenn ein Klumpen Ton, der nichts Besonderes ist, in die Hände eines begabten Töpfers kommt, kann der eine wertvolle Vase daraus machen.

Es kommt schon mal vor, dass unter der Hand des Töpfers ein Gefäß misslingt, dass auch an einer schönen Vase, die gerade geformt wird, ein Riss entsteht, warum auch immer. Doch der Töpfer wirft sein Werk deshalb nicht gleich weg und gibt es nicht auf. Mit viel Geduld formt er den Ton noch einmal neu. Der Töpfer erwartet keine Perfektion. Er will einfach mit seinem Werk zufrieden sein.

Viele Menschen setzen sich oft selbst unter Druck, in dem Versuch, perfekt zu sein oder mindestens bei den anderen so rüberzukommen. „Ich darf keine Schwäche zeigen“, „Ich muss alles geben“, „Mein Erfolg muss sichtbar sein“…  Wenn das nicht gelingt - und das ist öfters so - ist die Enttäuschung groß und man fängt an, an dem eigenen Wert zu zweifeln. Warum eigentlich? Andere Menschen müssen die dieselben Ängste, Probleme und Herausforderungen meistern wie wir. Wer behauptet, fehlerfrei zu sein, täuscht sich selbst.

Gott, der Töpfer, wendet sich von uns nicht ab, auch wenn wir meinen, nicht gut genug zu sein. Unser Wert geht nicht aus uns Menschen selbst hervor, sondern allein Gottes Liebe sorgt dafür, dass aus einer misslungenen Situation etwas Gutes entstehen kann. Gott kann und will jeden Menschen in seiner scheinbaren Schwachheit gebrauchen. Daher: Erwarte keine Perfektion von anderen und vor allem auch nicht von dir selbst.

Es ist gut und schön, so zu sein, wie du von Gott selbst geschaffen worden bist.

Eine Frau holte jeden Tag auf einem langen Weg Wasser von einem Brunnen nach Hause. An einer Holzstange, die sie quer über der Schulter hatte, hing an jedem Ende ein Tongefäß. Das Tongefäß auf der rechten Seite hatte aber einen Riss in der Wand. Auf dem Weg verlor es so immer eine Menge Wasser. So hatte die Frau zu Hause immer nur eineinhalb Krüge Wasser. Darüber war das Gefäß mit dem Riss sehr traurig und schämte sich.

Das Gefäß dachte: „Der Krug auf der linken Seite ist unversehrt und bringt immer die volle Leistung. Warum kann ich nicht auch so perfekt sein und kein Wasser auf dem Weg nach Hause verlieren?“

Eines Tages fragte das kaputte Tongefäß die Frau: „Warum nimmst du mich immer mit, obwohl ich diesen Fehler habe und immer Wasser verliere?“ Da lächelte sie und antwortete: „Wie kommst du denn darauf, dass du einen Fehler hast? Schau doch einmal auf den rechten Wegesrand!“

Da staunte das Gefäß und schaute später auf den Wegesrand. Dort auf der rechten Seite der Straße blühten überall wunderschöne Blumen, während auf der linken Seite keine einzige Blume war. Denn genau das Wasser, das das kaputte Gefäß jeden Tag verloren hatte, brachte alle diese Blumen zum Blühen!

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9. August 2020

„Aufeinander achten, miteinander lernen“
von Pfrn. Silke van Doorn, Bad Laasphe

„Uns ist heut' ein Kind geboren. Ein Sohn ist uns gegeben.“ Es ist nicht Weihnachten. Aber Jesajas Jubelruf liegt doch auf den Lippen derjenigen, die ein Kind geschenkt bekommen. Ich bin gerade eben wieder Großmutter geworden. Constantin ist vor einer Woche glücklich angekommen. Das Gefühl, ein Neugeborenes im Arm zu halten, ist immer wieder wunderbar und überwältigend. Es ist ein Geschenk in eine Zeit hinein, die uns vor neue Herausforderungen stellt. Die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen ist noch größer geworden.

Lasset die Kinder zu mir kommen“, sagte Jesus. Segnen will er die Kinder, teilhaben lassen, denn sie sind das Wichtigste. Seine Jünger sind ganz anderer Ansicht. Sie wollen von ihrem großen Idol lernen. Lernen: Nun sollen die Kinder wieder zum Lernen in die Schule. Die Herausforderung ist groß: Niemand weiß genau, ob durch die Urlaubsrückkehrer die Corona-Zahlen wieder sehr in die Höhe schnellen. Wir wissen vom ersten Shutdown, dass bei allen Bemühungen von Lehrer*innen und Eltern, viele Kinder nicht zum Lernen gekommen sind. Es sind gerade die Kinder, die sowieso schon Schwierigkeiten haben: Weil sie in prekären Verhältnissen leben. Weil sie keinen Zugang haben zu elektronischen Medien. Weil sie nicht zu den Aufgaben kommen, die ihre Lehrer*innen ihnen eigentlich stellen. Weil die Vertrautheit im Umgang mit E-Learning in vielen Schulen überhaupt noch nicht geschaffen sind. Nun sind die Vorgaben für das Öffnen der Schulen durch die Landesregierung nicht immer nachvollziehbar.

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Bedingungen in den Schulen endlich verbessert werden: Dass Seife und gute Sanitäreinrichtungen selbstverständlich werden. Dass Platz in den Klassenräumen ist. Dass wir einen neuen, sehr vorsichtigen und umsichtigen Umgang miteinander lernen, so dass Abstand- und Anstandsregelungen mit herzlichem, fröhlichem Miteinander-Wahrnehmen gelebt werden. Dass Freude über das wieder mögliche Miteinander gezeigt wird, ohne dass es gefährlich wird. Lasst die Kinder in die Schule kommen und miteinander sein. Lasst uns aufeinander achten und miteinander lernen. Für unsere Kinder.

Jedes Neugeborene weckt in jedem Menschen das Gefühl, dass wir es bewahren wollen und für das Baby unsere Welt. Mit jedem neuen Menschen, der uns anvertraut wird, erneuert Gott sein Versprechen, dass er Zukunft und Hoffnung will für seine Schöpfung.

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2. August 2020

Einladung zur Aufzählung
von Pfrn. Christine Liedtke, Girkhausen

Unsere Heizung wird nachhaltig erneuert. Das ist prima. Nicht so schön ist, dass wir fast drei Tage ohne warmes Wasser sein werden. „Du kannst bei mir duschen,“ schlägt mir meine 82-jährige Freundin vor, die nicht weit weg wohnt. Und fügt hinzu: „Wir haben uns die ersten 20 Jahre meines Lebens immer nur gewaschen, und samstags kamen alle in die Badewanne - und das Wasser musste noch ins Haus getragen werden.“ Diese Zeiten kenne ich nicht mehr. Ich bin groß geworden mit fließend warmem Wasser, mit Waschmaschine und später einer Spülmaschine.

Vor zwei Jahren in Tansania habe ich die Erfahrung gemacht: Duschen geht auch anders. Wir Frauen waren bei reichen Leuten untergebracht, weil unsere tansanischen Kirchen-Partner uns gut wollten. Die Dusche war ein gekachelter Bereich, in dem ein ebenfalls gekacheltes Loch im Fußboden auch als Toilette diente. Das Wasser stand in einem großen Eimer bereit. Es wurde jedes Mal extra vom Hof hinein geholt. Darum wollte ich sparsam sein. Das Schöpfgefäß fasste etwa einen halben Liter. Mit fünf Füllungen kam ich aus - mit Haarewaschen!

Heute habe ich mir die doppelte Menge unter die Dusche geholt und warmes Wasser, denn der Wasserkocher funktioniert ja. Was für ein Luxus!

Warum nehmen wir so vieles so selbstverständlich hin? Im Winter haben wir warme Wohnungen, weil alle eine Heizung haben. Wir haben fließend warmes und kaltes Wasser im Haus. Wir haben vielfältige Maschinen, die uns einen großen Teil der Arbeit erleichtern. Wir haben Arbeit und bekommen eine Grundsicherung, wenn wir kein Einkommen haben. Im Alter bekommen wir Renten. Ja, ich weiß auch, dass vieles besser sein könnte. Aber lasst uns nicht vergessen: Vieles könnte auch viel schlimmer sein! Die gegenwärtige Krise, die in unserem Land wirklich gut angegangen wird, sollte uns ebenfalls dankbar machen. Für viele junge Leute ist es das erste Mal, dass sie erkennen, dass manches nur vorläufig und gefährdet ist. Meine Gesundheit, mein Einkommen, meine älteren Angehörigen, die medizinische Versorgung, die soziale Absicherung, die vielfältigen Hilfsstrukturen und Unterstützungsangebote: wäre ich in Tansania geboren worden, dann sähe das ganz anders aus. Ich habe nichts dazu getan, dass ich in Deutschland zur Welt gekommen und aufgewachsen bin. Aber ich kann etwas dazu tun, dass unser Land demokratisch bleibt, dass es ein guter Lebensraum für viele Menschen ist, dass in meinem Lebensumfeld Menschen gesehen werden, dass es ein gutes Miteinander gibt, dass Nachbarschaft funktioniert.

Der Psalmbeter bringt es auf den Punkt: Nicht ich kann für das Gute in meinem Leben sorgen. Das meiste fällt mir unverdient zu. Und es gibt einen Adressaten für meinen Dank. Psalm 103: „Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:“ Und dort steht ein Doppelpunkt am Ende. Und nun können Sie und ich für uns aufzählen, was es alles Gutes in unserem Leben gibt. Lasst uns nicht vergessen, dass fast alles uns unverdient zufällt. Wer schon einmal in sehr armen Ländern war, der kann vergleichen. Und der wird darunter leiden, dass die Güter dieser Welt so ungleich verteilt sind. Darum ist neben der Dankbarkeit die Suche und das Bemühen nach Gerechtigkeit so wichtig. Und das Abgeben. Wir können spenden. Die Welt schreit nach Hilfe. Der Hunger tötet täglich unvorstellbar viele Menschen, die fehlende medizinische Versorgung, die kriegerischen Auseinandersetzungen, die politische Verfolgung und daraus folgende Flucht ebenfalls. Lasst uns nicht vergessen, wie gut es uns geht! Und dann etwas tun, auch wenn unsere Schritte nur klein sind.

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26. Juli 2020

„Alles hängt mit allem zusammen“
von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Beim Blick aus dem Fenster schaue ich auf ein Stück Garten unseres Nachbarn, das voller Mohn und Kornblumen ist. Diese Mischung aus zartem rot, hellblau und einem Tupfen violett tut den Augen und der Seele gut. Und wenn der Wind die langen Halme leicht hin und her wiegt, möchte ich gar nicht aufhören, hinzuschauen. Als Schüler habe ich auf dem Heimweg gerne diese Blumen gepflückt und meiner Mutter mitgebracht. Ein Bauer, auf dessen Feld diese besonders schön wuchsen, fand meine Blumensammelaktion gut, solange ich nicht die Getreidehalme platt trat. Denn er schimpfte auf dieses Unkraut. Warum - das hatte ich nicht verstanden. In Erinnerung blieb, wie unterschiedlich Teile der Natur bewertet werden: für den einen Unkraut, für einen anderen ein Fest für die Augen.

Auf dem Höhepunkt der Lockdown-Maßnahmen erlebte ich ähnliches. Viele Menschen wurden in ihrer persönlichen Freiheit auf das schärfste beschnitten, andere aber atmeten auf - sogar im wörtlichen Sinne. Bewohner der Ballungsräume konnten viel besser Luft bekommen, Fotografen erfreuten sich an einem streifenfreien Himmel und viele Tiere hatten wegen des geringeren Lärmpegels weniger Stress.

Was immer wir tun, es kann für die einen eine Steigerung der Lebensqualität bedeuten und für andere einen deutlich negativen Einschnitt. Ohne Insektizide im Garten muss man sich öfter bücken, aber die Insekten und Vögel haben mehr Lebensraum. Missachte ich die aktuellen Modetrends, bin ich out und meine Kleidung hat möglicherweise Gebrauchsspuren. Dafür muss weniger Material auf eine Reise um die Welt gehen. Kaufe ich nicht alle zwei Jahre ein neues Handy oder einen neuen Computer, dann kann mein Gerät vielleicht nicht alles, was die neueste Generation auf dem Markt zu bieten hat. Aber ich schone die sowieso schon knappen Ressourcen an seltenen Erden und Edelmetallen.

Alles hängt mit allem zusammen. Und es gibt keinen idealen Weg, keine absolut eindeutige Position. Felder, auf denen nur Blumen wachsen, machen nicht satt. Ohne Warenverkehr wäre ein Leben, wie wir es kennen, nicht möglich. Und Hosen mit Rissen über dem Knie und unter dem Knie und unterhalb des Pos sind nur für die attraktiv, die nicht so schnell frieren. Aber im Zuhören und Nachdenken können wir mit Sicherheit Wege finden, die das Leben für alle auf unserem Planeten verbessern und nicht nur Dividenden wachsen lassen. Denn das ist unsere Verantwortung: Wir sind die, die Konsequenzen unseres Handelns bedenken können. Das ist unsere Gottebenbildlichkeit. Diese Gabe nicht zu nutzen, wäre ein Verrat an unserem innersten Wesen.

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19. Juli 2020

Das „Du“ suchen
von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Wir kennen das Gefühl, nur ein kleines Licht zu sein, unbedeutend, einer unter vielen. Ob wir uns in den Verflechtungen deutscher Verwaltung verirren, ob wir - trotz aller Beteuerungen aus der Politik - auf den Arzttermin viele Monate warten müssen, oder ob uns Händler oder Handwerker ansprechen und die gegebene Zusage auf die nächste Woche, den nächsten Monat, das nächste Quartal verschieben, immer wieder schleicht sich das Gefühl ein: Mit mir kann man es ja machen, auf mich kommt es nicht an, die scheren sich um meine Sorgen nicht.

Als Jugendlicher habe ich eine Erfahrung gemacht, die mich darin bestärkt, wie schnell wir solche Erfahrungen persönlich nehmen. Bei mir war es ein positives Ereignis: Eine Mitarbeiterin des Sozialamtes rief bei uns an. Zwei Jahren zuvor bei der Berechnung der uns zustehenden Leistungen sei ein Fehler unterlaufen. Sie habe festgestellt, uns sei zu wenig ausgezahlt worden. Sie bat um Entschuldigung, und der Fehlbetrag werde in den nächsten Tagen gutgeschrieben. Mich hat diese außergewöhnliche Erfahrung einige Jahre begleitet und für diese Zeit mein Verhältnis zu Behörden und Institutionen verändert.

In unserer Gesellschaftsform, in der unser Gegenüber immer größere und immer ferner rückende Institutionen sind, tut es gut zu erleben, dass ich nicht eine Nummer, eine Diagnose, ein Fall bin.

Das war - in anderen Zusammenhängen - zur Zeit Jesu das erste Wunder, das Menschen in der Begegnung mit dem Mann aus Nazareth widerfuhr. Sie waren nicht der Leprakranke, die Hure, der Zöllner, der Geldsack, der Bettler. Sondern sie waren immer ein „Du“, ein Gegenüber. Jesus interessierte sich dafür, was sie plagt, was ihre Geschichte ist und worauf sie hoffen.

Noch vor ein paar Wochen sah es so aus, als würde dieses Interesse an der Situation von Leidenden und Verzweifelten eine neue Kultur unter uns entfalten. Wir nahmen Anteil an den Mühen der Pflegekräfte, der Einsatzkräfte, der KurzarbeiterInnen und der Kleingewerbetreibenden.

Aber es scheint damit schon wieder vorbei zu sein. Es sind inzwischen wieder nur „die“ Pflegekräfte, wir sehen nur die Prozentzahlen der Arbeitslosen und Kurzarbeiter. Das Leid des einzelnen tritt dahinter zurück.

Sehr bedauerlich. Denn ich meine, wir brauchen eine Leitkultur, die sich an dem Vorbild des Manns aus Nazareth orientiert, ob wir in ihm nun den Christus sehen oder nur einen herausragenden Menschen. Wir brauchen die Sicht auf das „Du“, denn dann blitzt in jedem Fall etwas auf von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Wie ich es erlebt habe: Von einem Sozialhilfefall, der der Welt gleichgültig ist, hin zu einem Menschen, mit dessen Namen man etwas verbindet.

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12. Juli 2020

Gleich - und anders
von Pfrn. Silke van Doorn, Bad Laasphe

Hätte Gott mich anders gewollt,
So hätt' er mich anders gebaut.
Johann Wolfgang von Goethe

Alle Menschen sind gleich. Lange Zeit wollten uns Wissenschaftler erklären, dass einige gleicher sind. Unterscheidung von körperlichen Merkmalen diente zur Einordnung der Menschen. Die, die herrschen (wollen), erklärten die ihnen ähnlich Sehenden zu hochwertig, die Anderen als Minderwertige. Heute wissen wir genau, dass die Gene der äußerlich unterschiedlichen Menschen gleich sind. Vor allem wissen wir, dass gar nichts einen qualitativen Unterschied ausmacht. Der liegt nicht in den Genen, nicht in Farben, nicht in Kulturen.

Weltweit führen wir gerade die Rassismus-Debatte. Nicht nur in den USA, sondern auch bei uns ist sie aufgeflammt. Jetzt steht unsere Polizei auf dem Prüfstand. Anders als der Innenminister können sich viele in der Polizei eine kritische Überprüfung vorstellen. Die Polizist*innen halten für die Wahrung unseres Grundgesetzes ihre Köpfe hin - der übergroße Teil steht natürlich auf der richtigen Seite. Richtig ist, dass die Polizei ein Spiegel der Gesellschaft ist. Rassisten gibt es überall. Das nötigt uns alle, auf uns selbst zu schauen und jede Gruppierung unserer Gesellschaft zu beäugen: Wieviel ausgrenzende, rassistische Vorurteile und Beurteilungsmuster stecken in mir? Rassismus ist keine Frage der Biologie, sondern der Kulturen: „Die sind anders, die verstehen uns nicht!“

Zur Kultur wird auch die Religion gezählt: Religionen, die verschieden sind. Unsere Religion ist die einzig wahre - das ist unser Denken. Zur Kultur wird auch die sexuelle Identität gezählt: So wie ich liebe, ist normal - das ist unser Denken.

„Die Zeit ist gekommen, in der wir einen bestimmten Ruf vernehmen: Dass die Welt als EINE zusammen kommen muss.“ Seit 1985 gibt es das Lied „We Are the World“. Die bekanntesten überwiegend amerikanischen Musiker unterschiedlichster Hautfarbe sangen, um acht Millionen Äthiopier vom drohenden Hungertod zu retten. Die Welt sollte ihren Geschwistern helfen - sofort. „Wir sind die Welt. Wir sind die Kinder. Wir sind die, die einen leuchtenderen Tag machen können - lasst uns beginnen, zu handeln, zu geben. Schickt ihnen eure Herzen, dass sie wissen, dass es jemanden gibt, der sich kümmert, dass sie stärker und freier leben können. Gott hat uns gezeigt, dass aus Steinen Brot werden kann. So strecken wir die helfende Hand aus.“

Angesichts der Bedrohung der Menschen durch ein Virus, das unsere Gesellschaft verändert, viele Menschen zerstört, können wir uns Rassismus endgültig nicht mehr leisten. Wir müssen - und können - als EINE Welt zusammenstehen. Alle Menschen sind gleich - und jede/r anders.

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5. Juli 2020

Ferien sind heilige Tage
von Jugendreferent Daniel Seyfried, Girkhausen

Die Ferien haben endlich begonnen. Und doch ist dieses Jahr alles anders. Urlaubsreisen können nur eingeschränkt und unter Auflagen stattfinden. Auch unser Begegnungsprogramm „Young Ambassadors“ zwischen Jugendlichen aus dem Kirchenkreis Wittgenstein und der United Church of Christ in Indiana und Kentucky in den USA, das dieses Wochenende beginnen sollte, musste wegen der Corona-Pandemie auf nächstes Jahr verschoben werden.

Dennoch: Es sind Ferien! Wenn nun auch alles anders ist als geplant, sind die Ferien von vielen Schülern, Eltern und Lehrern regelrecht herbeigesehnt worden. Ferien sind besondere Zeiten im Jahr. Der englische Begriff dafür - „holiday“ - kann das sehr schön veranschaulichen. Es setzt sich aus den Wörtern „holy“ und „day“ zusammen. Damit wird deutlich, was Ferien sind: heilige Tage.

Heilige Tage beinhalten mehr als das Verreisen in ferne Länder und zu interessanten Orten. „Heilig“, das bedeutet Gott geweiht. Dabei ist der Fokus auf Gott gerichtet. Es geht bei den „heiligen Tagen“ also darum, in Beziehung mit Gott zu treten und dankbar und fröhlich zu erkennen, was er uns täglich Gutes gibt. In den Ferien, wenn wir zur Ruhe kommen, die Seele baumeln lassen, neue Kräfte sammeln, erleben wir Gottes Nähe nochmal viel intensiver. Vieles was im Alltag untergeht, wird neu und anders wahrgenommen. Deshalb sind besonders die Ferientage - wie aber generell jeder andere Tag auch - von Gott geschenkte Tage.

So bekennt auch der Beter des 118. Psalms in Vers 24: „Dies ist der Tag, den der HERR macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.

Der Beter sieht die Tage als ein Geschenk Gottes. Jeder Tag bietet viele neue Möglichkeiten, etwas Spannendes zu erleben, über kleine und große Dinge zu staunen, Menschen zu begegnen und Gottes Größe, Macht und Liebe zu erfahren. Gerade in den Ferien sind wir eingeladen, gezielt inne zu halten und die Einzigartigkeit und besonderen Momente jedes einzelnen Tages wahrzunehmen und zu genießen.

Lassen Sie uns trotz all der Umstände und Einschränkungen fröhlich und gespannt schauen, was Gott für uns in diesen heiligen Tagen bereithält. Vielleicht reflektieren Sie am Ende eines jeden Tages beim gemütlichen Abendessen, was Sie heute erlebt haben und wofür Sie dankbar sind.

Möglicherweise hilft diese Übung dabei, auch im Alltag vermehrt innezuhalten, um Gottes Nähe zu suchen und seine Liebe zu erkennen und all die wunderbaren Gaben wahrzunehmen.

Ich wünsche Ihnen schöne „holy days“.

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28. Juni 2020

Nächstenliebe ist der Weg
von Pfr. Thomas Janetzki, Wingeshausen

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 2. Timotheus 1, 7

Warum geht mir dieses Bibelwort jetzt durch den Kopf? Weil die Nachrichten zum Thema „Corona“ mich fast schon wieder fürchten lassen, dass alles, was wir hofften überwunden zu haben, zurückkommt: Ausgangs- und Reisebeschränkungen, Kontaktverbote…

Ein Geist der Furcht könnte sagen: „Diese zweite Welle kommt doch sowieso.“ Dann sind ab jetzt wieder allen anderen zuerst ein mögliches Risiko für meine Gesundheit, erst dann meine Mitmenschen. Oder aber: „Die zweite Welle kommt sowieso - darum tue ich jetzt alles, was Spaß macht, bevor es zu spät ist...“

Hier steht aber das Wort „Besonnenheit“: Natürlich fragen wir uns, ob wir nicht alles zu früh wieder angefangen, gelockert haben, haben Angst, dass eine zweite Infektionswelle uns wieder in einen Lockdown zwingt - und das ist verständlich und hat sein Recht. Aber Angst kann auch kippen, zu Panik werden. Dann suchen wir schnell nach Schuldigen und laden alles auf sie ab. Denn wir sind doch nur unschuldige Leidtragende dieses Skandals… Aber ist das wirklich so einfach?

Die Besonnenheit versteht unsere Gefühle, aber sie fragt mit großer Klarheit zurück: Wovor hast Du Angst? Wie willst es vermeiden? Was ist die Alternative? Was kannst Du daraus lernen?

Besonnen ist, uns einzugestehen: Wir wissen einfach nicht, wie gefährlich Corvid-19 (wieder) noch werden wird. Es könnte unser Gesundheitssystem überfordern - es kann aber auch so kommen wie eine heftige Grippe - zumindest hier.

Besonnen ist, das zu tun, was nachweislich zur Eindämmung hilft, was auch alle wissen und die meisten beherzigen. Aber: Das ist nicht einfach nur „soziale Distanzierung“! Es gibt manchmal Nähe, die gefährlich ist, wo man andere anstecken kann, ohne es zu merken, sich auch selbst infizieren kann. Aber: Es gibt auch Distanz, die schaden kann, Menschen, die auf uns und unsere Zuwendung, wie sie auch aussehen mag, angewiesen sind. Besonnenheit heißt eine gesunde Balance finden…

Was kann uns dabei helfen? Ich denke, die beiden Begriffe „Kraft“ und „Liebe“ aus dem Bibelvers können uns helfen. Gott verspricht uns neue Kraft, wenn wir ruhig bleiben, mit ihm sprechen, uns von ihm ansprechen lassen - und uns fragen: Bemitleiden wir uns nur selbst, weil wir eingeschränkt sind in unserer Freiheit, oder tun wir etwas für die, die uns brauchen? Jesus ist immer gerade auf die zugegangen, mit denen keiner etwas zu tun haben wollte: etwa auf die Schwachen, Ausgegrenzten; sogar auf die, die schuldig geworden waren. Das ist unser Weg: Nächstenliebe - ohne jede Bedingung. Und die entwickelt ein feines Gespür für die, die Beistand und Unterstützung benötigen, ist erfinderisch darin, wie sie das tut. Lassen wir uns doch von Nächstenliebe leiten...

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21. Juni 2020

Träumen von der Leichtigkeit
von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Jetzt wird alles anders! Denn der Sommer ist da. Lange, laue Abende, Eis im Sonnenschein, lockeres Flattern der Gardinen im Wind, alles ist leicht und vieles wird losgelassen. So ein bisschen wie in der Pralinenwerbung, ohne Schokolade.

Aber es ist doch so, der Sommer steht für Unbeschwert-Sein und Freiheit. Vielleicht wegen der Ferien, weil man weniger zum alltäglichen Leben braucht. Stimmt das denn? Die Schlagzeilen der vergangenen Woche zeichnen ein anderes Bild. Und jetzt meine ich nicht die Diskussion darüber, ob, wie und wo ein Auslandsurlaub möglich ist oder eben nicht. Oder wie viel Wert ein Geister-Meistertitel hat.

Obwohl es sich wieder gemütlicher anfühlt, stecken wir immer noch tief in der Krise. Immer noch oder schon immer?! Jeden Tag ploppt irgendwo etwas Neues auf, das uns zeigt, wie uns Menschen der ausschließlich am Profit orientierte Lebensstil auf die Füße fällt. Sind wir da eigentlich noch zu retten?

Das Leben hat eine neue Form bekommen. Irgendwie fühle ich mich im permanenten Einsatzmodus. Es geht nur noch ums Reagieren. Eigene Pläne haben an Kraft verloren. Immer muss man noch ein Einerseits und Andererseits dabei denken. Träumen und Rumspinnen geht irgendwie nicht mehr. Ich habe Sehnsucht nach dem Unbeschwerten und Spontanen. Ich vermisse die Leichtigkeit und die Visionen, die den Alltag immer auch bunt gemacht haben.

Ist das jetzt alles weg? Auf Nimmerwiedersehen? Oder muss ich einfach nur neu sortieren? Einfach ist das ja nun nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und kann sich offensichtlich nur schwer umgewöhnen. Wo kriege ich also die neue Leichtigkeit her? Wo kann ich abladen?

„Kommt her, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Im Matthäus-Evangelium stehen diese Worte Jesu aufgeschrieben. Jesus kann also leicht machen. Und wie macht er das? Wie kriege ich das im Alltag mit? Kommt er und organisiert das Home-Schooling der Kinder für mich? Das wäre doch eine gute Sache: Jesus und der Satz des Pythagoras.

Wahrscheinlich ist es ein bisschen weiter gefasst. Es wird leichter, wenn ich andere Maßstäbe setze. Das kann ich von Jesus lernen. Gesellschaftliche Konventionen, Normen, die ein menschliches Miteinander behindern, die Nächstenliebe verblassen lassen, rücken in den Hintergrund. Maßstäbe, die den Menschen als Geschöpf Gottes kleinhalten, haben nichts mit seiner bedingungslosen Liebe zu tun, die er mit Jesus in die Welt gebracht hat.

Ich träume von der Leichtigkeit, die mir von Gott in Jesus geschenkt wird. Leicht und sanft, nicht gleichgültig. Hoffentlich kriege ich es mit, wenn sie da ist. Nicht, dass ich das Geschenk verpasse.

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14. Juni 2020

„You'll Never Walk Alone“
von Pfr. Steffen Post, Bad Laasphe

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle etwas zur Eröffnung der Fußball-EM schreiben, aber die ist wegen Corona verschoben. Dafür rollt der Ball bei Geisterspielen in der Bundesliga. Nicht alle Fußballfans sind von diesem Format und der Fortsetzung der Saison begeistert. Das zeigt mir, dass Fußballfans durchaus ein feines Gespür für das gesellschaftliche Miteinander haben, auch wenn sich manche Personen im Stadion gelegentlich anders verhalten.

Im vergangenen Jahr bin ich auch beim Kirchentag in Dortmund darauf gestoßen, dass es inzwischen eine ganze Reihe christlicher Fanclubs gibt. Einige haben sich unter dem Namen „Totale Offensive“ zusammengeschlossen und sind im Stadion an Fahnen in Vereinsfarben mit einem Fischsymbol, dem Zeichen der ersten Christen, zu erkennen. So verbinden sie ihre Begeisterung für den Fußball mit ihrem christlichen Glauben: Sie treffen sich nicht nur zu Andachten oder Gottesdiensten vor Fußballspielen, sondern kümmern sich auch um ihre Mitmenschen, etwa durch Beratungsangebote, organisieren Lebensmittelspenden für bedürftige Menschen, helfen bei Wohnungssuche und Umzügen oder laden Fans mit geringem Einkommen zu Themenrunden und Fußballübertragungen ein.

Andere Fans setzen sich für die Aufarbeitung der Vereinsgeschichte ein. Dabei haben sie in den vergangenen Jahren zu Tage gefördert, dass in den Anfangsjahren einiger Bundesligaclubs ein Präsident, ein Trainer oder Spieler mit jüdischen Wurzeln von entscheidender Bedeutung waren, die dann häufig während der Zeit des Nationalsozialismus als Mitglieder ausgeschlossen wurden. Dank dieser Fan-Initiativen konnte inzwischen das Schicksal einzelner Sportler und Funktionäre aufgearbeitet werden; Lebensgeschichten, die uns heute im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zur Mahnung und Wachsamkeit dienen können.

Auch während der Corona-Pandemie waren Fangruppen ehrenamtlich aktiv: So boten BVB-Fans ihre Hilfe bei Einkäufen und Botengängen für Menschen an, die zur Risiko-Gruppe gehörten, und FC-Fans unterstützten den Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki bei der Essensausgabe in einer Suppenküche für Wohnungslose in der Domstadt.

In dieser Vielfalt haben Fußballfans das in die Tat umgesetzt, was sie sonst ab und an im Stadion singen und was auch für unser Leben immer wieder eine ermutigende Melodie sein kann: „Wenn Du durch einen Sturm gehst, geh‘ erhobenen Hauptes. Und hab‘ keine Angst vor der Dunkelheit. Am Ende des Sturms gibt es einen goldenen Himmel. Und das süße, silberhelle Lied der Lerche. Geh‘ weiter, durch den Wind, geh‘ weiter durch den Regen; auch wenn sich alle deine Träume in Luft auflösen. Und Du wirst niemals alleine gehen. Du wirst niemals alleine gehen. Geh‘ weiter, geh‘ weiter, mit Hoffnung in Deinem Herzen. Und Du wirst niemals alleine gehen: You'll Never Walk Alone.“

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7. Juni 2020

„Ja zum Leben“
von Pfr. Jaime Jung, Erndtebrück

Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte weitergeben, die mir zur wertvollen Erkenntnis verholfen hat, dass ich öfters Ja sagen soll und darf.

Einem Bauern lief sein einziges Pferd davon. Da hatten die Nachbarn Mitleid mit dem Mann und sagten: „Du Ärmster! Dein einziges Pferd ist weggelaufen: Welch ein Unglück!“
Der Bauern antwortete: „Wer sagt denn, dass dies ein Unglück ist?“

Und tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück - und brachte ein Wildpferd mit. Da sagten die Nachbarn: „Erst läuft dir das einzige Pferd davon - und dann bringt es noch ein zweites mit! Was hast du bloß für ein Glück!“
Der Bauer schüttelte den Kopf: „Wer weiß, ob das Glück bedeutet?“

Das Wildpferd wurde von seinem ältesten Sohn eingeritten; dabei stürzte er und brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und sagten: „Welch ein Unglück!“
Der Bauer gab zur Antwort: „Wer will wissen, ob das ein Unglück ist?“

Kurz darauf kamen die Soldaten des Königs ins Dorf und zogen alle jungen Männer zum Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück - mit seinem gebrochenen Bein.
Da riefen die Nachbarn: „Was für ein Glück! Dein Sohn wurde nicht eingezogen!“
Der Bauer: „Wer sagt denn, dass dies ein Glück ist?“

Endlos könnte man dieses Märchen weitererzählen: Glück oder Unglück - wer soll das entscheiden? Oft erfahren wir erst im Nachhinein, dass vermeintliches Glück gar keins war und dass ein offensichtliches Unglück am Ende Glück bedeuten kann. So sollten wir nicht zu schnell urteilen, was schlecht im Leben läuft. Manchmal entdecken wir, dass schwere Zeiten im Nachhinein ein Geschenk waren. Nicht immer, aber oft.

Vor Allem, dürfen wir als Christen fest daran glauben, dass auch in schwierigen Zeiten Gott bei uns ist. Dann reden wir nicht von Glück oder Zufall, sondern von Segen. Gott beschenkt uns mit seinem Segen immer wieder neu. Ob wir diese Segen erkennen und dankbar dafür sind, darf jeder Mensch selbst beantworten. Auf jeden Fall kann uns die Gewissheit, dass Gott bei uns ist, Mut machen, mit Hoffnung und neuer Kraft die Welt verändern zu wollen oder Dinge so anzunehmen, wie sie auf uns zukommen.

„Was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage: Ja. So wie die Blume still im Regen abends spricht, weil sie im neuen Licht auch wieder blühen will: Was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage: Ja.“ Das schreibt Wolfgang Borchert. Leichter gesagt als getan, das merke ich bei mir selbst.

Ach, wenn ich das nur immer so könnte… Ja sagen! Ja zum Heute. Ja zum Morgen. Ja zu mir. Ja zu den Anderen. Ja zum Gestern. Ja zum Leben. Ja zur Liebe. Einfach Ja.

Ich möchte es mindestens versuchen, denn mit Gottes Hilfe kann und darf ich Ja sagen, egal was kommt. Das ist für mich Zuversicht: Ich kann Ja sagen, denn ich weiß, ich bin in guten Händen aufgehoben und geborgen, komme was wolle.

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31. Mai 2020

Gott versteht alle Sprachen
von Superintendent Stefan Berk

Ich gehe einkaufen, natürlich mit vorgeschriebenem Mundschutz. Die meisten Leute, denen ich begegne, auch. Außerdem achten sie genau auf den Abstand. Wir machen einen weiten Bogen umeinander. An der Kasse schaut mich jemand an und schaut wieder weg. Komisch, denke ich: Wer war das? Draußen nickt mir jemand zu. Kenne ich den?

Ich weiß jetzt, warum es das Vermummungsverbot gibt: Mit ihrem Mund-Nasen-Schutz erkenne ich die Leute nicht mehr! Und natürlich passiert es, wie es passieren muss: Einen Tag später habe ich einen guten Bekannten am Telefon, der das Gespräch ein bisschen spitz beginnt: „Du willst scheinbar auch nicht mehr alle Leute kennen, was?“ Genau: Er hatte mich vor dem Supermarkt freundlich gegrüßt, wollte auch noch einen Satz mit mir reden - und ich bin einfach zum Auto weitergegangen.

Natürlich, die Masken sind nötig. Das haben (fast) alle inzwischen begriffen. Aber sie machen auch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns mit offenem Visier begegnen können. Für ein gutes Miteinander muss ich den anderen erkennen können. Das Gesicht erzählt viel darüber, wie es dem Gegenüber geht, in welcher Stimmung er ist, worüber wir reden werden. Vielleicht telefoniere ich deshalb nicht so gerne, weil ich dann nur die Stimme höre und die Mimik des anderen nicht sehen kann. Kommunikation, das fällt mir in diesen Wochen auf, braucht viele Kanäle. Wenn so etwas Wichtiges wie ein Gesichtsausdruck fehlt, geht die Leichtigkeit und die Alltäglichkeit verloren.

Morgen ist Pfingsten. In der zentralen Geschichte am Anfang der Apostelgeschichte im Neuen Testament (Kapitel 2) geht es um eine Sprachenvielfalt. Die „be-geisterten“ Freunde Jesu fanden passende Worte für alle, die sie trafen, so unterschiedlich sie waren. Dieses Kirchenfest erinnert mich daran, dass die Gute Nachricht vom Leben, das auf immer bleibt, keine Grenzen kennt. Jede Möglichkeit der Kommunikation ist eine gute Möglichkeit. Jeder Weg, Menschen zu erreichen, ist ein richtiger Weg. Mit und ohne Maske, mit Gesten und Zeichen, mit Bildern und Liedern, mit Plakaten und auf YouTube. Das braucht Aufmerksamkeit und Offenheit. Das braucht die Fantasie, sich immer wieder neu zu überlegen, wie wir kommunizieren und welche neuen Formate es gibt. Ich bin begeistert, wie viele Leute sich gerade Gedanken machen, wie diese Gute Nachricht von Gott in unsere digitale Welt transportiert werden kann.

Vielfalt ist angesagt. Vielfalt ist gut und normal. Jede und jeder von uns hat ihre und seine eigene Sprache fürs Leben. Gut zu wissen, dass Gott sie alle spricht, so geheimnisvoll das auch klingt. Da könnte ich ruhig mutiger sein und diesem Pfingstgeist mehr zutrauen.

Wenn mir wieder jemand beim Einkaufen begegnet, der mich merkwürdig ansieht oder mich freundlich grüßt und ich kann mir keinen Reim drauf machen, dann habe ich mir vorgenommen: Ich frage einfach nach. Was ist schon dabei? In der Zeit der Masken muss man manchmal eben deutlicher werden, um sich zu verstehen. Und darauf kommt es am Ende an.

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24. Mai 2020

„Auf das, was da noch kommt“
von Pfr. Steffen Post, Bad Laasphe

„Auf das, was da noch kommt“ - mit dieser Liedzeile habe ich den Silvestergottesdienst 2019 bei uns in Bad Laasphe eröffnet und dabei erklärt, was mich daran anspricht: Es ist der ehrliche Blick auf unser Leben, denn neben der Freude „auf Euphorie und alles Leichte“, wird auch „jedes Stolpern, jedes Scheitern“ auf unserem Lebensweg nicht verschwiegen.

Dass wenige Monate später ein Virus kommt und unseren Alltag so massiv verändert, das war damals nicht zu erahnen. Gefühlt haben wir in diesem Jahr schon mehrere Silvester hinter uns: „Auf das, was da noch kommt“, nach dem 16. März, 20. April und 11. Mai und der jeweils neu gefassten Corona-Schutzverordnung. „Stolpern und Scheitern“, weil Vieles auf einmal so ungewohnt ist. Weil Politiker und Virologen hier und da unsicher sind bei dem, was jetzt richtig ist. Inzwischen werden erste Lockerungen gewagt, mit deren Hilfe das ein oder andere Gewohnte wieder vorsichtig möglich ist, ohne, dass gleich schon „Euphorie“ ausbricht für „alles Leichte“.

„Auf das, was da noch kommt“ - vielleicht hätte diese Liedzeile damals auch die Jüngerinnen und Jünger unmittelbar nach Jesu Himmelfahrt angesprochen. Nach dem „Stolpern und Scheitern“ an Karfreitag und der „Euphorie“ an Ostern, stand auch ihnen mit der Rückkehr von Jesus zu seinem himmlischen Vater ein erneuter Silvestertag ins Haus: Abschied von Vertrautem und Unsicherheit mit Blick „auf das, was da noch kommt“. „Stolpern und Scheitern“? Weil die bohrenden Fragen dominieren: Wie soll es jetzt weitergehen? Wie lange wird das dauern, bis der versprochene Heilige Geist kommt? Oder doch zuversichtlich „auf Euphorie und alles Leichte“ nach vorne schauen? Weil die Hoffnung überwiegt: „Was er verspricht, das bricht er nicht. Er bleibet meine Zuversicht...“ (Ev. Gesangbuch, 374, 5)

Mit der Himmelfahrt von Jesus fällt die Tür nicht zu, nein, das Tor zum Himmel bleibt und ist geöffnet für „das, was da noch kommt“: „Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.“ (Johannes 14, 2) Nach seiner Himmelfahrt wird Jesus zum Wohnungseinrichter für uns, damit wir ein Zuhause haben für immer und ewig.

Und für die Gegenwart? Zehn Tage müssen die Jüngerinnen und Jünger warten. Dann kommt er, der Heilige Geist, die „Kraft aus der Höhe“ (Lukas 24, 49), die sie zu neuen Schritten ermutigt und Kraft für den Alltag gibt. So macht Jesus sein Versprechen wahr, dass er bei uns sein will alle Tage, auch im „Stolpern und Scheitern“. Und gleichzeitig will er mir durch seinen Heiligen Geist die Augen öffnen für „alles Leichte“, für hoffnungsvolle und tröstliche Momente in meinem Leben: Für helfende Hände, wachsende Blumen, ermutigende Melodien, einen postalischen Gruß. Gott ist immer für eine Überraschung gut. Darauf will ich vertrauen, bei dem, „was da noch kommt“.

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17. Mai 2020

Behüte dein Herz mit allem Fleiß
von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Auf der Suche nach einem Thema fürs Angedacht hänge ich meinen Gedanken nach. Die Schlagzeilen der Woche gehen mir durch den Kopf. Corona-Müdigkeit, Überforderung, Schlachthöfe, Demonstrationen, Verschwörungstheorien, Reproduktionszahl, Grenzöffnungen, Abstand, Spielplatz, Bundesliga. Ein heilloses Durcheinander an Themen und je nach Mischung so richtig brisant. Manchmal denk‘ ich, ob wir überhaupt noch klar denken können. Ob es nicht einfach wirklich zu viele Informationen sind, die ein einzelnes Hirn gar nicht richtig verarbeiten kann. Wahrscheinlich müsste man viel mehr aus dem Bauch heraus entscheiden. So, wie es sich gerade anfühlt, dann auch danach handeln. Schließlich weiß ja nur ich am besten, was gut für mich ist. Da soll mir niemand anderes von außen etwas vorschreiben.

Hört sich nach starker Parole und absolut nachvollziehbar an. Aber dann auch wieder nicht. Denn natürlich bin ich für mich selbst der beste Experte, aber ich bin ja nicht alleine auf dieser Welt! Da braucht es andere Fachleute, die den Überblick haben und Dinge aus den verschiedenen Richtungen einordnen können. Sonst fühlen wir zu einseitig.

„Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus quillt das Leben“ - ein weiser Rat aus dem Buch der Sprüche. Manchmal muss der Kopf das Herz bewahren. Fleißig denken, um nicht alles fühlen zu müssen. Der Kopf weiß Konsequenzen, die das Herz bisweilen gar nicht fühlen kann. Da hilft dann bevor wir handeln das Nachdenken während oder darüber, wie wir etwas tun.

Eine Krise fordert den Menschen besonders heraus. Die Zündschnur ist kurz, unterschiedlichste Gefühle machen das Denken mitunter schwer. Und gerade, weil jeder für sich selbst der beste Experte ist, ist es wichtig, das Herz zu schützen. Nicht aus kardiologischer Sicht. Es ist lebenswichtig, dass wir Herz UND Kopf gebrauchen, das Denken, die Vernunft und die Fakten nicht vergessen. So überfordere ich mich nicht in meinem Fühlen, kann Konsequenzen im Blick haben und lebensfördernd handeln. Denn darum geht es uns wohl doch. Dass das Leben hervorquelle. Es soll blühen, wachsen und gedeihen. Alles soll wieder gut werden! Und schön. Und lebendig. Überall. Dass das so wird, dafür brauchen wir aber auch unseren Verstand. Das Herz ist der Motor des Lebens, der Kopf ist das Lenkrad. Und das brauchen wir nun mal, damit wir nicht mit voller Wucht gegen die Wand donnern oder in den Abgrund fahren.

Danke Gott, dass Du mir Herz und Verstand gegeben hast. Schenk‘ mir auch Nerven, dass ich das eine nicht gegen das andere ausspiele, sondern nur das tue, was Leben fördert. Meins und das meiner Mitmenschen. Amen.

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10. Mai 2020

Wo Gott ist, sind Liebe und Freiheit
von Pfr. Joachim Cierpka, Lukas

Heute ist der Sonntag Kantate, das heißt: Singet! Genau das wird aber in den Kirchen, die nun wieder Gottesdienste anbieten, unterbleiben müssen. Jedenfalls darf es kein gemeinsames Singen geben. Das ist verständlich, aber auch schade. Denn gemeinsames Singen und Musizieren verbindet Menschen nicht nur miteinander, auch über alle sprachlichen und kulturellen Unterschiede hinweg, es macht die Seele frei. Es ist Ausdruck von Lebensfreude gerade in Zeiten langsam wieder gewonnener Freiheiten.

Die Freiheit zu feiern bezieht sich allerdings nicht nur auf die Lockerungen im Rahmen der Corona-Krise. Am 8. Mai vor 75 Jahren machten nicht nur die Gefangenen des NS-Regimes endgültig erste Schritte in die wiedergewonnene Freiheit, sondern nach den besetzten Völkern Europas endlich auch das deutsche Volk. Gewiss geschah dies auch unter Schmerzen, aber es waren nach der durch Deutschland hervorgerufenen Katastrophe die Geburtswehen des freien Europa und der Demokratie, derer wir uns unterdessen im vereinigten Land erfreuen können. Nur politische - vielleicht unterdessen auch senile - Wirrköpfe bestreiten dies.

Die Freiheit haben Menschen zu allen Zeiten besungen: als Gospel schwarzer Sklaven, als Befreiungslied in der Urzeit wie Mirjam beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, als Volkslied wie in „Die Gedanken sind frei“‘. Singen stiftet Freude, macht Mut, stiftet Gemeinschaft.

Die Bibel erzählt davon, dass da, wo Menschen Gott singend loben, die Herrlichkeit Gottes erscheint und wohnt, wie zum Beispiel im Tempel zu Jerusalem „Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiel erhob und man den Herrn lobte, erfüllte die Herrlichkeit des Herrn das Haus Gottes“, vergleiche 2. Chronik, 5. Wo Gott ist, sind Liebe und Freiheit.

Ich wünsche Ihnen ein Wochenende, das Ihnen Augenblicke dieser Herrlichkeit schenkt, in neuer Freiheit des Miteinander und Hoffnung und Kraft für das Kommende.

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3. Mai 2020

Jubel - eine Art Gottesdienst
von Jugendreferent Daniel Seyfried, Girkhausen

Heute feiern wir den Sonntag Jubilate, auf Deutsch: Jubelt. Die Bedeutung für Jubel ist große Freude, die durch entsprechendes Verhalten in Gestik, Mimik, Stimme und Sprache deutlich wird.

Jubel ist uns vielleicht etwas fremd. Bestenfalls sehen und erleben wir den Jubel beim Sport, wenn eine oder einer oder ein ganzes Team gewonnen hat. Mit einem lauten Schrei, hoch gereckten Fäusten und strahlendem Gesicht wird der Sieg gefeiert, möglichst so intensiv, dass alle anderen mitmachen und applaudieren.

Aber wie sieht es in unserem Alltag mit Jubel aus? Wann haben Sie sich das letzte Mal so sehr gefreut, dass es alle anderen an ihrer Mimik und Gestik mitbekommen haben oder sogar angesteckt wurden?

Der Sonntag Jubilate möchte uns in der Zeit zwischen Ostern (Jubel über die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus) und Pfingsten (Jubel über die Kraft des Heiligen Geistes) einladen das Jubeln auch in unserem Alltag nicht zu vergessen.

Mag sein, dass wir in Zeiten der Corona-Krise wenig Grund zum Jubeln empfinden. Aber ist es nicht gerade jetzt gut, sich über manche Kleinigkeit zu freuen und sie vielleicht sogar zu bejubeln? Schauen Sie doch mal in die Natur, wie schön alles wieder anfängt zu blühen. Es führt uns vor Augen, dass Gott immer wieder einen neuen Anfang schafft. Freuen wir uns doch über jedes nette Wort, das wir gesagt bekommen, über jede Geste der Hilfsbereitschaft, die wir erleben.

Und mit jedem Jubel feiern wir eine Art Gottesdienst. Wir freuen uns, über all die wunderbaren Dinge, die Gott uns schenkt. Das tun wir beim Jubeln nicht nur mit der Sprache, sondern der ganze Körper, die ganze Seele ist daran beteiligt. Sichtbar zu jubeln und unserer Freude und unserem Dank Ausdruck zu verleihen, dazu sind wir am Sonntag Jubilate eingeladen.

So steht schon in der Bibel: „So geh hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein Tun hat Gott schon längst gefallen.“ (Prediger 9, 7)

Bei diesem Satz muss ich immer an unsere jüngste Tochter denken, wie wir gemeinsam am Tisch sitzen und essen. In dem Moment, wo sie wahrnimmt, dass es etwas zu Essen gibt, fängt sie an heftig mit den Armen zu wedeln, grinst über das ganze Gesicht und hoppelt aufgeregt in ihrem Stühlchen umher. Ihr ganzer Körper ist von der Vorfreude ergriffen. Das ist Jubel!

Ich möchte von meiner Tochter lernen mich über die Kleinigkeiten des Alltags zu freuen und Gott so meine Dankbarkeit zu zeigen. Gott gefällt es, wenn wir unserer Freude Ausdruck verleihen und einander daran teilhaben lassen.

Lassen Sie uns kreativ werden, wie wir in Zeiten der Kontaktsperre voneinander wissen und gemeinsam über die kleinen Freuden und unseren großen Gott jubeln können.

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26. April 2020

Halte durch!
von Pfrn. Simone Conrad, Birkelbach

Morgen in einer Woche wäre Konfirmation gewesen in Birkelbach. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das war, als meine Kinder Konfirmation hatten: Jahrelang vorher Raum reserviert. Catering festgemacht. Monatelang vorher Einladungskarten gebastelt. Gästelisten gemacht, Tortenliste geführt, Konfirmationstorte bestellt. Tischdeko ausgesucht, wieder gebastelt. Klamotten gekauft, bloß nicht zu früh, das Kind wächst ja wie wild.

Und jetzt? Dieses Jahr ist alles anders. Abschließendes Unterrichtsgespräch: abgesagt. Präsentationsgottesdienst: ausgefallen. Konfirmation: verschoben.

Und darum heute ein ganz besonderer Gruß an die Konfirmanden und Konfirmandinnen in unserem Kirchenkreis: Wir denken an euch! Wir sind mit euch traurig, dass euer großer Tag verschoben werden muss und wir werden uns mit euch freuen, wenn wir mit euch feiern dürfen!

Gottes „Ja“ zu euch, das bei der Konfirmation genauso befestigt wird wie euer „Ja“ zu ihm und seiner Kirche - das gilt auch trotz und wegen und gerade in Corona-Zeit. Ihr seid ihm wertvoll und wichtig - auch wenn die Konfirmation verschoben wird. Und er ist an eurer Seite - darauf dürft ihr vertrauen, auch wenn ihr auf euren Ehrentag noch warten müsst.

An Ostern lag vor unserer Kirche in Birkelbach ein Hoffnungsstein, darauf stand: Halte durch! Nur diese zwei Worte: Halte durch. Halte durch und lass dich nicht entmutigen!

Halte durch - und sei gewiss, dass die Kraft zum Durchhalten gegeben wird. „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht müde werden“ (Jesaja 40, 31) heißt es in der Bibel. Das ist ein großartiges Durchhalte-Wort - es ist mehr, als „das-wird-schon-wieder“. Denn es sagt: Das wird wieder - mit Gottes Hilfe. Und du schaffst das. Du hältst das durch. Und eure Konfirmation - die machen wir euch besonders schön!

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19. April 2020

Mehr aufs Gute schauen

von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Es gibt Worte, die sich im Moment immer wieder Gehör verschaffen: Corona, Abstand halten, Kontaktsperre, Rezession, Krise. Worte sind nicht nur Informationsträger. Sie prägen auch unsere Stimmungen und Haltungen. Wir wissen doch: Ein Schüler, der immer wieder vorgehalten bekommt, mit seinem fehlenden Leistungswillen werde er später scheitern, geht nicht sehr motiviert an das Lernen heran. Eine Mitarbeiterin, die am Freitagnachmittag im Team nicht nur gespiegelt bekommt, wo Verbesserungsmöglichkeiten wären, sondern auch hört, was Ihr besonders gelungen sei, wird mit mehr Elan und geringerer Neigung zu Erkrankungen in die nächste Woche gehen.

Die aktuelle Situation ist eine massive Herausforderung für uns alle. Gerade deshalb ist es aber nicht hilfreich, die kleine positive Rückmeldung „Wir haben beobachten können, dass sich fast alle an die Auflagen gehalten haben“ zunichte zu machen, indem dann fortgefahren wird mit „Aber...“ und dann soviel in dieses „Aber...“ gepackt wird, dass das Positive vom Anfang am Ende vergessen ist.

Als Pfarrer mache ich es häufig umgekehrt. Ich nehme das Negative, Schmerzliche ernst und benenne es. Dann aber kommt mein „Aber...“ und ich spreche von der Hoffnung, von der Nähe Gottes, von dem Vorbild Jesu, der es verstand, vieles zum Guten umzukehren. Als Christ fällt mir das natürlich etwas leichter. Denn ich lebe von der Gewissheit, dass am Ende der Zeit Gott alles so fügen wird, dass wir sagen können: „Es ist alles gut.“ Oder wie ein Film diesen Gedanken fortführt: „Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.“

Zu diesem Schauen auf die Chancen und Möglichkeiten möchte ich ermutigen. Nicht, weil die Chancen und Möglichkeiten die Schmerzen und das Leid aufwiegen. Sondern weil wir an dem Negativen, was geschieht, nichts oder nur wenig ändern können. Aber bei der Frage, was wir aus der Krise lernen können und welche Ideen wir für die Zukunft retten sollten, können wir gestalten, können wir zum Positiven hin verändern.

Ein Schauen auf das Positive kann viel Kraft freisetzen. Meine Großmutter sagte - zum Ärger und zum Spott der Familie - seit ihrem 60. Geburtstag immer wieder: „Wenn ich das noch erlebe.“ Sie sagte das nicht resignativ, sondern für uns war jedes Mal zu spüren: Sie möchte es erleben! Und dieses Hoffen auf den Besuch bei den Enkeln, auf die Fahrt mit ihrem Frauen-Clübchen oder auch nur den Gang über den Wochenmarkt baute sie auf. Sie wurde 87 Jahre alt und hat ihr Leben, gerade weil sie immer auf das Positive schaute, bis fast zum Ende genossen.

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12. April 2020

Osterlicht strahlt im Dunkel heller

von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

„Kinder“, spricht die Mutter Hase, „putzt euch noch einmal die Nase
mit dem Kohlblatttaschentuch! Nehmt nun Tafel, Stift und Buch!
Tunkt auch eure Schwämmchen ein! Sind denn eure Pfötchen rein?“
„Ja!“ „Nun marsch, zur Schule gehen!“ „Mütterchen, auf Wiedersehn!“

Der erste Schultag ist da! Fröhlich machen sich Hasengretchen und Hasenhans auf den Weg in die Häschenschule im Wald. Dort erwartet sie der alte Lehrer, um ihnen alles beizubringen, was ein richtiger Hase wissen sollte: Neben Pflanzenkunde, Gartenarbeit, Hakenschlagen und Geschichten über den gefährlichen Fuchs, lernen die Häschen natürlich auch das überhaupt Wichtigste, was es für einen Hasen zu lernen gibt.

Seht, wie ihre Augen strahlen, wenn sie lernen Eier malen!
Jedes Häslein nimmt gewandt einen Pinsel in die Hand,
färbt die Eier, weiß und rund, mit den schönsten Farben bunt.
Wer‘s nicht kann, der darf auf Erden nie ein Osterhase werden.

Tja, so ist das in dem Wald, wo die Häschenschule steht. Es scheint für einen normalen Feld-, Wald- und Wiesenhasen nichts Schöneres zu geben, als irgendwann einmal Osterhase zu werden. Nostalgie und heile Welt, davon erzählt das Buch „Die Häschenschule“. Unbeschwert hüpfen die kleinen Hasen durch den Wald und müssen sich nur vor dem Fuchs in Acht nehmen. Naiv-kitschig, so könnte man sagen. Was gäb‘ ich drum, wenn wir dieses Jahr was davon an Ostern hätten. Aber, trotzdem!!! Ostern ist bunt! Wie die Eier und die Regenbögen, die man überall sehen kann.

Blau für die Treue. Die Bibel erzählt von der Geschichte Gottes mit den Menschen, davon, wie er Wort und Treue gehalten hat. Angefangen beim Regenbogen bis hin zum leeren Grab von Ostern. Er ist der, der Bund und Treue ewiglich hält und das nicht loslässt, was er geschaffen hat. Das finden wir auch im der Farbe Rot, die natürlich für die Liebe steht. Die Liebe und das Leben haben ein für alle Mal gesiegt. Und Gelb? Wie das Sonnenlicht. Ostern ist ein Sonnenaufgang nach durchwachter und durchweinter Nacht. An diesem Morgen, mit diesem Sonnenaufgang hat sich alles verändert. Die Trauer ist der Freude gewichen, das Grau dem leuchtendem Sonnengelb. Und als Letztes kommt das Grün. Das steht für das größte Ostergeschenk: die Hoffnung. Das Grab war leer. Der Tod musste vor der Macht des Lebens weichen. Ostern zeigt uns, dass Gott die Welt nicht aufgegeben hat und sie nicht aufgeben wird. Ostern zeigt uns, dass wir hoffen dürfen.

„Färbt die Eier, weiß und rund, mit den schönsten Farben bunt!“ An Ostern muss es bunt zugehen. Ostern muss in den verschiedensten Farben schillern: Blau, Rot, Gelb, Grün.

Ich wünsche uns allen, dass wir die Farbenpracht erkennen und uns daran freuen können. Trotz Allem! Dann kann das Licht von Ostern auch in dunkler Zeit umso heller leuchten.

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5. April 2020

Die Glocken läuten zur Erinnerung

von Superintendent Stefan Berk

Wenn es vor rund 2000 Jahren eine globale Pandemie-Strategie gegeben hätte, wäre es eine gespenstische Szene geworden: Jesus sitzt auf einem Esel und reitet mutterseelenallein auf der staubigen Hauptstraße Richtung Jerusalem. Ach nein, er ist nicht ganz allein, einer darf ja dabei sein. Aber wer von seinen zwölf besten Freunden? Petrus, der Fels? Johannes, zu dem er eine besonders enge Beziehung hatte? Oder hätte er Maria von Magdala ausgesucht?

Ganz gleich, die beiden wären nicht weit gekommen. Das Stadttor ist zu. Nur wer in Jerusalem seinen ersten Wohnsitz hat, darf raus und wieder rein. Vorausgesetzt, man gehört zu den Schlüsselpersonen oder kann nachweisen, dass der Weg aus der Stadt unverzichtbar ist für die Daseinsvorsorge.

Da hat Jesus schlechte Karten. Er ist einer vom Land, gehört nicht zu den Stadtbewohnern. Dringende Geschäfte kann er auch nicht belegen. Und Daseinsvorsorge? Das nimmt ihm niemand ab. Ein Zimmermann auf Wanderschaft kann genauso gut woanders bleiben. Die Angst vor einer Ansteckung ist viel zu groß.

Da hätten die Leute gar nicht unrecht. Denn dieser Mann aus Galiläa wirkt ansteckend! Wer ihm begegnet, kriegt Herzklopfen, weil der Himmel plötzlich offen steht. Da wird eine Ewigkeitssehnsucht wach, die einen nicht mehr los lässt. Da droht das berüchtigte Gerechtigkeitssyndrom, das Menschen ständig unbequeme Fragen stellen lässt. Und plötzlich auftretende Visionen vom Leben, in dem alle zu ihrem Recht kommen, alarmieren die Gesundheitsbehörden: Wo kämen wir hin, wenn alle meinten, das Miteinander könnte ohne Krieg geregelt werden!

Heute ist Palmsonntag. Unsere Kirchen bleiben leer. Es muss wohl sein. Aber richtig fühlt es sich nicht an, weil es das Gegenteil von der Geschichte in den Evangelien ist, wie Jesus unter dem Jubel ungezählter Menschen in Jerusalem ankommt. Deshalb müssten unsere Kirchen gerade heute voll sein, und ausgelassene Freude müsste nach draußen dringen.

Andererseits: Schon damals erlebten die Menschen, wie schnell Stimmungen kippen können. Heute grenzenloser Jubel, weil die Menschen in Jesus den starken Mann sehen, der endlich aufräumt. Nur wenige Tage später ein wütender Mob, der Fäuste reckt - voller Frust und Enttäuschung, dass Jesus ihre Erwartungen nicht erfüllt hat. So endet er in einem qualvollen Tod an einem Verbrechergalgen. Wieder draußen, vor den Stadtmauern. Doch diesmal ohne Jubel, dafür lastendes Schweigen des Todes.

Ich merke, dass mir unsere leeren Kirchen weh tun. Wie gut, dass wenigstens die Glocken weiter läuten und daran erinnern: Glaube, Liebe, Hoffnung bleiben. Denn Ostern kommt. Jesus Christus lebt und steckt uns an: mit dem Glauben, dass Gott da bleibt. Mit der Hoffnung, dass es Zukunft für unsere Kinder gibt. Mit der Liebe zu allem Leben. Mit der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, die alle umschließt. Und mit der Vision, dass sich Dinge ändern lassen – in unserem Land und in dieser Welt. Trotz und nach Corona.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Tag und Hoffnung in der Seele! Wir hören uns - heute Abend um halb Acht.

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29. März 2020

Der Frühling ist nicht aufzuhalten

von Pfr. Jaime Jung, Erndtebrück

Wer einen Garten pflegt sieht deutlich, wie die verschiedenen Jahreszeiten wirken. In der Natur verläuft jedes Jahr nach dem gleichen, fast unveränderlichen Rhythmus. Grundsätzlich: Es gibt den Neuanfang im Frühling, den hellen Sommer, den stürmischen Herbst, den frischen Winter. Es gibt das Wachsen, das Reifen, das Ernten und das Ruhen. Wie im Jahreslauf gibt es auch im menschlichen Leben einen Rhythmus, in dem Höhepunkte und scheinbare Tiefpunkte sich abwechseln.

Jeder Mensch braucht einen Ausgleich im Leben: Arbeit und sinnvolle Aufgaben, aber auch Freizeit und Erholung. Essen und Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf, aber auch Musik, Blumen und Bilder. Wir brauchen den Frühling unseres Lebens, die glücklichen und bunten Zeiten, in denen wir neue Anfänge wagen können. Wir brauchen den Sommer, das volle Leben draußen in der weiten Welt, die Begegnungen, die Festlichkeiten. Auch der Herbst gehört zu unserem Leben, die Zeit der Ernte, der Dankbarkeit für alles, was uns gegeben wird. Wir brauchen ebenso den Winter, die Zeit des Abschieds und der Einsamkeit. In all seinen Lebensabschnitten braucht der Mensch den Kontakt zu anderen.

Nun erleben wir dieses Jahr eine ungewöhnliche Veränderung. Während draußen nach und nach der Frühling sich von seinen besten und bunten Seiten zeigt, wird uns empfohlen, drinnen zu bleiben: „Alle sozialen Kontakte werden in der nächsten Zeit ruhen müssen“, heißt es in der Politik. Das Normale ist gerade, dass vieles nicht normal ist. Es ist für mich nun so, als wäre mitten im Frühling wieder der Winter ausgebrochen, die Zeit des langen Wartens.

In unserer Region sind wir ja gewohnt, dass es auch mitten im Frühling plötzlich wieder kalt werden kann. Aber wir wissen dann: Auch das wird vorbei gehen. Und für unsere jetzige Situation gilt: Es wird wieder Begegnungen geben.

Was uns noch entgegenkommen wird, steht in Gottes Händen - und das ist gut so. Sicher ist: In allen Jahreszeiten des Lebens ist er bei und mit uns, als treuer Wegweiser und Begleiter. Er kennt unsere Freuden, aber auch unsere Sorgen, Ratlosigkeit und Ärgernisse. Er möchte uns täglich die Kreativität und den Mut schenken, das Beste aus unserer jetzigen Situation zu machen - egal, ob von einem unsichtbaren Virus verursacht oder von einem verzweifelten Herzen empfunden.

Bei der Coronavirus-Krise - samt Quarantäne - geht es nicht nur um Angst und um Verlust, sondern um Fragen, die über die Gegenwart hinausgehen: Wird mir deutlicher, was mir im Leben wirklich wichtig ist? Worauf kann ich und will ich in Zukunft verzichten? Was fehlt mir? Was habe ich in dieser Zeit gewonnen, zum Beispiel an Erkenntnissen über mich selbst und über andere Menschen?

Es mag wie ein Klischee klingen - und ist vielleicht auch eins - aber ich halte fest daran: Alles hat seine Zeit. Der Frühling lässt sich nicht aufhalten.

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22. März 2020

Jetzt gibt's die Zeit

von Pfr. Joachim Cierpka, Lukas

„In der Ruhe liegt die Kraft“ pflegte mein Ausbilder mir zu sagen, wenn ich mal wieder etwas zu hektisch voran wollte. Viele von uns fühlen sich derzeit zu häuslicher Ruhe verurteilt. Jedenfalls merken wir, wie schwer wir uns an verlangsamtes Leben gewöhnen, wie schwer es uns fällt, auf noch unbestimmte Zeit Teilbereiche unseres Lebens in den Ruhemodus zu versetzen.

Die hebräische Bibel kennt das Ruhegebot des Sabbats, das älteste Sozialgebot der Menschheit. Zeit zur Muße, zur Reflexion, zum Gespräch mit Gott, für mich selbst und die, die mir nahe sind.

Natürlich, man kann in diesen Tage sorgenvoll auf das schauen, was derzeit alles nicht möglich ist. Oder aber das annehmen, was plötzlich möglich ist. Die geschenkte Zeit lässt sich sinnvoll füllen. Gerade in so ungewöhnlichen, teils hysterischen Zeiten wie der unseren bietet das erzwungene ‚Jetzt nicht‘ auch Chancen.

Trotz der Sorgen, wie sich die nächsten Tage und Wochen entwickeln, sollten wir uns auch Zeit nehmen, zu uns selber zu finden: Was ist mir wirklich wichtig? Was brauche ich, was ist vielleicht nicht nur dieser Tage verzichtbar? Was ist tragende Säule meins Lebens, und was - obgleich mir sonst selbstverständlich - ist eigentlich eher überflüssige Belastung.

Im Großen gilt das auch für unser gesellschaftliches Miteinander. Vielleicht gelingt uns in diesen Tage der Krise und danach eine neue Ausrichtung, die allen Gewinn bringt. Vielleicht lernen wir eine neue Sprache des Miteinanders. Welche demokratischen Werte dürfen wir im Normalfall genießen. Welche Freiheiten sind unverzichtbar, welche scheinbar unverzichtbaren Freiheiten aber belasten Umwelt und Mitmenschen mehr als nötig und können anders gestaltet werden?

Ich möchte Sie einladen, in dieser Zeit auch die Chancen zu sehen, die für die Gestaltung unseres Lebens durch die erzwungene Zeit des Innehaltens möglich werden. Und ich bin gewiss, dass uns daraus auch Kräfte erwachsen können, die uns nach überwundener Krise mit Freude neues Miteinander im Großen wie im Kleinen gestalten lassen werden.

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15. März 2020

Anschauen - und lächeln!

von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Eine Kollegin, die viel mit afrikanischen Geflüchteten arbeitet, erzählte mir von einer afrikanischen Begrüßungsweise. Der, der beginnt, sagt dem, den er begrüßt wird: „Ich sehe dich“. Und der andere antwortet: „Ich bin da.“

„Ich sehe dich“ - welch vielschichtige Zusage. Ich nehme dich wahr, in all deinen Facetten, ich erkenne dich wieder, ich weiß, wer du bist, kenne deinen Namen, deine Geschichte, deine Hoffnungen und Ängste. Für den, dem dies zugesprochen wird, bedeutet es die Zusage, nicht einer von vielen in einer namenlosen Masse zu sein, sondern herausgehoben zu sein, einen Platz zu haben in der Gemeinschaft, unverwechselbar und eindeutig, verflochten mit anderen Menschen um ihn herum.

Wir Deutschen haben uns darauf eingerichtet, aneinander vorbeizugehen. Wir scannen eben, ob wir die Menschen um uns herum unserem engeren Umfeld zurechnen. Wenn nicht, gehen wir achtlos aneinander vorbei. Wir sagen möglicherweise trotzdem brav „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“, „Bitte“ und „Danke“, aber ohne innere Beteiligung. Wenn jemand dann doch ein freundliches Wort oder sogar ein offenes Lächeln schenkt, ist das Gegenüber dann verwundert, selbst in unserem überschaubaren Wittgenstein, wo man sich doch eigentlich vom Sehen kennen könnte.

Im WDR 2 waren die Hörerinnen und Hörer aufgefordert zu überlegen, wie wir denn einander begegnen können ohne das im Zeichen von Corona zu vermeidende Händeschütteln. Ein Vorschlag war, einander etwas länger anzusehen und einander ein herzliches Lächeln zu schenken. Das erinnerte mich an die afrikanische Begrüßungsweise. Und an das, was im Moment - neben medizinischer Versorgung und kluger Umgangsweise - Not tut: Dass wir einander zugewandt begegnen. Die einen haben Angst um sich oder kranke Angehörige, andere sind cool und gelassen, wieder andere können die Situation nicht einschätzen und fühlen sich völlig verunsichert und hilflos. Wie wir auch empfinden, die Folgen des Corona-Virus beschäftigen uns alle.

Aber es ist viel leichter damit umzugehen, wenn wir einander das Gefühl geben, dass der einzelne nicht allein da steht. „Ich sehe dich, deine Ängste, deine Unsicherheit, dein großes Vertrauen. Aber ich sehe dich nicht nur, ich fühle mich dir nahe, mich mit dir verbunden. Auch wenn ich ganz anders mit der Situation umgehe als du es tust, bist du Teil unseres Miteinanders.“ Und der andere fühlt sich wahrgenommen und angenommen. Die Herausforderungen lassen sich leichter meistern, wenn ich weiß, ich stehe nicht allein da.

Wir müssen keine afrikanischen Bräuche einführen. Das Anschauen und ein warmherziges Lächeln vermögen das gleiche. Wenn wir das lernen würden, dann hätte der Virus wenigstens eine gute Sache bewirkt.

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8. März 2020

Beten ist wie Händewaschen

von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Infektionskette, Gefahr, Sterbefälle, Hygiene, Isolation, Tausende von Menschen… All das ist schon zum Alltag geworden und - ganz ehrlich - macht mich, je nach Tagesform, mehr oder weniger verrückt. So ein Virus hat schon etwas Bedrohliches. Trotz medizinischer Entwicklung kann uns so ein Winzling in Angst und Schrecken versetzen. Obwohl die Forschung unheimlich weit und gut ist, hat so eine Geschichte wie die Grippe- oder Corona-Epidemie etwas Mittelalterliches. Als man noch nicht so viel über Krankheiten wusste. Wir erleben, wie wir ausgeliefert sind. Und nichts tun können. Und das ist kaum auszuhalten. Ich kann das kaum aushalten. Es muss doch etwas geben, das man tun kann. Allein schon, um nicht nur Angst zu haben.

Als Pastorin bilde ich mir ein, dass ich etwas gegen die Angst tun muss. Jedenfalls etwas parat haben sollte. Hab' ich aber auch nicht immer. Und schon gar nicht bei solch einer unsichtbaren Bedrohung. Hoffentlich verhalte ich mich richtig und bringe nicht auch noch die Familie oder sonst wen in Gefahr. Man trägt ja nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch noch für die anderen. Ein guter Nährboden für die Angst, die sich so immer weiter fressen kann.

Der Virus, die Angst vor der Unsicherheit kann uns voll im Griff haben. Obwohl wir ja bestens informiert sind. Haben Landkarten, in Echtzeit, können genau verfolgen, wie die Spuren von Corona durch die Welt ziehen. Und bleiben dennoch ausgeliefert. Erschreckend, was man lesen muss über Diebstahl von Schutzkleidung oder Desinfektionsmitteln. Angst kann einen wohl auch auf ganz falsche Wege leiten. Angst oder Gier. Ich weiß gar nicht, was mich da mehr erschreckt.

Jedenfalls fühle ich mich wie ein Darsteller in einem Kinofilm. Alles, was man sich früher als besonders gruselig und aufregend ausgemalt hat, wird jetzt wahr. Ich wünschte, einer würde das Licht anmachen und fragen: Möchte noch jemand Eis? „Mein Herz ist voller Verlangen nach deiner Nähe, Gott“, so heißt es im 25. Psalm. Gott wird den Virus wohl nicht stoppen, keine Supersauger vom Himmel schicken, die alles Gefährliche einfach wegsaugen. Aber für mich könnte er das Licht anmachen. Dass ich meine Angst sehen und sie so besser in Angriff nehmen kann. Ich hab' in den vergangenen Tagen festgestellt, dass Beten da so ähnlich wie Händewaschen ist. Ich kann den Virus nicht wegbeten, aber ich kann damit all das Konfuse abspülen. Kann zur Ruhe kommen und wieder klare Gedanken fassen. Besinne mich darauf, dass ein wachsamer Blick auf das Tagesgeschehen am besten ist. Lasse mein Herz ruhiger werden. Und so bete ich: Gott, lass uns da alle durchkommen, gib uns Menschen Kraft in unserer Machlosigkeit. Amen.

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1. März 2020

„Steh‘ auf und geh‘“

von Pfrn. Ute Hedrich, Martin-Luther-Gemeinde Harare, ursprünglich aus Balde

Simbabwe - bekannt durch die Viktoriafälle, den Ex-Präsidenten Robert Mugabe, Diamanten- und Goldvorräte, große Elefantenherden und jetzt, weil es Weltgebetstags-Land 2020 ist. Mit Texten, Liedern, Bildern und Gebeten, die Frauen aus Simbabwe vorbereitet haben, und vielleicht sogar Köstlichkeiten nach Rezepten von dort ist am Freitag in vielen Kirchen das afrikanische Land präsent. „Steh‘ auf und nimm Deine Matte und geh‘“ - dieses Wort aus dem Johannes-Evangelium ist nicht nur das Weltgebetstags-Motto, sondern konkrete Lebenserfahrung von Frauen und Männern hier.

Steh‘ auf und nimm Deine Matte und geh‘ und hole Wasser, weil es dies sogar in der Hauptstadt nur selten noch aus Leitungen gibt und oft nicht richtig geklärt ist: Frauen tragen dann nicht nur Matten, sondern bestimmt auch 20 Kilo auf dem Kopf - Wasserholen aus den Brunnen ist Frauensache.

„Steh‘ auf und geh‘“ sagen Mütter zu ihren Kindern, die sie gerade auf dem Land auf lange Schulwege schicken müssen, mit der Sorge, dass die Kinder vielleicht nicht sicher ankommen. Aber bei teilweise über 80 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ist gute Schulbildung so wichtig. Zugleich machen Mütter sich schon früh auf, um auf Märkten Gemüse oder Eier zu verkaufen, auf dem Feld zu arbeiten. Die Sorge um Haushalt, Kindererziehung, kleines Familieneinkommen tragen Frauen oft allein - in einem Land, wo es kaum formelle Arbeit gibt, sind Männer auf der Suche nach einer Stelle oder im Ausland.

Dennoch klagen die Frauen nicht, lassen nicht ihre Matte liegen und schlafen, weil alles schwierig ist. Sie machen sich auf, erfinderisch mit Kraft Neues zu probieren, konkrete Dinge zu verbessern. So setzten sie durch, dass dort, wo der Schulweg gefährlich war, mit kirchlichem Geld eine neue zentrale Schule gebaut wird und nicht mehr 15 Kilometer Weg anfallen. So haben wir in der Martin-Luther-Kirche in Harare, wo ich in der Gemeinde arbeite, einen Markt, wo nach der Kirche aus eigenen Gärten verkauft wird: Lebensunterhalt für die einen, gutes, frisches, ungespritztes Gemüse für die anderen. Dies ist wichtiger geworden, nachdem durch eine der weltweit höchsten Inflationsraten, sogar Grundnahrungsmittel so teuer sind, dass das Geld noch weniger reicht, die Mahlzeiten pro Tag auf zwei reduziert wurden.

Steh‘ auf, nimm Deine Matte und geh‘ - Jesu Wort an den kranken Menschen in Bethesda befähigt Frauen (wie Männer) aufzustehen, trotz aller Widrigkeiten, weiterzugehen, sich in Arbeit und Gemeinschaft untereinander zu stärken, selbstständige Projekte zu beginnen, immer im Vertrauen darauf, dass Gott neue und oft ungewöhnliche Wege aufzeigt. Mehr davon bei den Wittgensteiner Weltgebetstags-Gottesdiensten. In Harare werden wir einen gemeinsamen großen Gottesdienst im Sportstadium feiern mit Frauen und Männern aus mehr als 20 unterschiedlichen Kirchen.

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23. Februar 2020

Für mehr Wahrhaftigkeit

von Pfr. Peter Liedtke, Girkhausen

Eigentlich wollte ich einige Gedanken über das Lachen teilen und wie wichtig es ist, wie gut das Lachen tut. Die Nachrichten aus Hanau, die Nachbeben der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen und die Aufdeckung einer Verschwörergruppe, die bürgerkriegsähnliche Zustände schaffen wollte, lassen mich aber erst einmal innehalten.

In dieser Zeit sind wir Christen herausgefordert: Es ist nötig, Stellung zu beziehen. Wir müssen uns öffentlich bekennen zu unserem biblisch geprägten Menschenbild, das alle Menschen als von Gott geliebte Menschen sieht, unabhängig von Rasse, Sprache, Bildung und Wohlstand. Wir sind gefordert, für Menschlichkeit einzutreten. Und es ist unbedingt notwendig, dass wir eine neue Kultur der Wahrhaftigkeit und Wahrheit leben. Es darf nicht sein, dass wir durch falsche Informationen und gezielte Manipulation in die Irre geführt werden und uns aufhetzen lassen.

Dieses Bekenntnis „Mitmenschlichkeit und Wahrheit“ ist jetzt dran. Es ist keine Zeit zum Abwarten, denn je länger wir schweigen, umso mehr driftet unsere Gesellschaft auseinander.

Uns können dabei die karnevalistischen Beiträge helfen, denn sie überspitzen die Dinge derart, dass wir nicht drumherum kommen, darüber nachzudenken. Uns helfen Kabarett und Satire aus dem gleichen Grund. Und es hilft uns, uns daran zu erinnern, dass wir bei allem, was wir tun, in Gottes Hand ruhen. Wie Hanns Dieter Hüsch dichtete: „Gott nahm in seine Hände / Meine Zeit / Mein Fühlen Denken / Hören Sagen / Mein Triumphieren / Und Verzagen / Und Elend / Und die Zärtlichkeit“. Und er eröffnete diesen Kehrvers mit den Worten: „Ich bin vergnügt / erlöst / befreit“.

Und damit bin ich dann doch noch beim Lachen.

Wir sollen nicht über Menschen lachen. Niemand von uns weiß, was sie zum dem gebracht hat, das wir als komisch oder albern wahrnehmen.

Aber wir dürfen mit den Menschen lachen, lachen auch über Pannen, Missverständnisse, peinliche Momente. Dann macht das gemeinsame Lachen aus uns Verbündete, wir stärken einander und nehmen den misslungenen Momenten ihre Peinlichkeit. Das Lachen macht uns zu Menschen, die spüren, dass sie erlöst und befreit sind.

Wir werden im Lachen zu Kindern, welche die unzähligen Möglichkeiten des Lebens wahrnehmen. Und wir sind ja Kinder, Kinder unseres himmlischen Vaters. Es stimmt: Wir tragen Verantwortung. Aber in unserer Verantwortung liegt nur das, was zu tun uns möglich ist. Die Verantwortung für das, was uns unmöglich ist, die dürfen wir getrost in Gottes Hand legen.

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16. Februar 2020

Dient einander in der Liebe

von Pfrn. Silke van Doorn, Bad Laasphe

„Kein Millimeter nach rechts“ - letztes Jahr im Konzert in Frankfurt, mit Kolleg*innen aus dem Kirchenkreis unterwegs, sang eine sehr große Menschenmenge mit Herbert Grönemeyer. Überzeugt, dass eine Demokratie es auch aushält, wenn ein Teil der Bürger eine undemokratische, nationalistische Partei wählt. Spätestens seit Mittwoch, 5. Februar 2020, wird deutlich, dass Demokrat*innen nicht schweigen dürfen, wenn Rechtsextremisten, zu denen der radikalste Landesverband der AfD unter der Führung von Höcke gehört, bestimmen wollen, wer regiert.

Fünf leitende evangelische Geistliche haben sich sofort am nächsten Tag positioniert: „Aus christlicher Sicht darf es keine Regierung unter Mitwirkung von Rechtsextremisten geben“. Landesbischof Friedrich Kramer (EKM), Bischof Christian Stäblein (EKBO), Bischöfin Beate Hofmann (EKKW), Kirchenpräsident Joachim Liebig (Ev. Luth. Kirche Anhalts) sowie Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt (Nordkirche) begründeten es damit, dass „dies […] antidemokratischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Positionen Vorschub (leistet) und […] sie salonfähig (macht). Für Christinnen und Christen aber hat jeder Mensch seine Würde. Aufgabe der Politik ist es nach Artikel 1 Grundgesetz, diese Würde zu wahren und zu verteidigen. Dies kann nicht gelingen, wenn mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache gemacht wird.“

Diese klare Positionierung der Kirche fehlte vor 90 Jahren als die NSDAP im Thüringer Landtag die Regierung mitbildete und Hitler von einem Experimentierfeld redete. So weit ist es 2020 nicht gekommen - die Parteien der Mitte haben verstanden, dass sie sich nicht von der AfD abhängig machen können.

Tausende Menschen zeigten gesterm in Erfurt: Nicht mit uns.

Zur Freiheit seid ihr berufen; deshalb sorgt dafür, dass die Freiheit nicht eurer Selbstsucht die Bahn gibt, sondern dient einander in der Liebe“ (Galater 5, 13). So spricht der Apostel Paulus von Freiheit und Liebe. Diese Freiheit und Liebe kann unsere Kirche hoch halten und leben. Sie weiß, wovon sie lebt und was sie weitergeben kann. Sie hat die Freiheit des Glaubens geschmeckt und mit diesem Geschmack auf der Zunge und dem befreienden Wort im Ohr geht sie auf die Menschen zu, die ihr am Wege und unterwegs begegnen. Zur Kirche gehört deshalb immer auch die Wahrnehmung der gegenwärtigen Zeitumstände, unter denen die Menschen leben. Vor ihrem Hintergrund und in sie hinein will die Botschaft von der Freiheit der Kinder Gottes selbstbewusst und fröhlich verkündigt werden.

Kirche will auf Menschen zugehen, die sich ungerecht behandelt fühlen und wütend Hass spucken. Sie will aber auch an der Seite der Menschen stehen, die Hilfe brauchen, die Freiheit suchen und Brot, wenn sie dieses dort nicht mehr finden, wo sie herkommen. Und: Kirche steht dafür in unserem Land, dass Ausgrenzung und Hass, Antisemitismus und engmachender Nationalismus nie wieder Verbreitung findet.

Kein Millimeter nach rechts. Dafür stehen wir weiter auf.

Einen gesegneten Sonntag.

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9. Februar 2020

Einladung zum Neugierig-Machen

von Pfrn. Berit Nolting, Berghausen

Als ich in den Weihnachtsferien mal in Siegen zum Stadtbummel war, sah ich im Schaufenster eines Geschäftes besondere Thermosflaschen stehen. Ihre Form, ganz leicht - und ohne dieses verspiegelte zerbrechliche Innere. Sie sahen total stylisch aus.

Als ich sie mir näher anschaute, habe ich mir die Frage gestellt: Würde mein Tee darin wohl wirklich heiß bleiben? Und wenn Ja, wie geht das?

Ein paar Tage später bekam ich so eine Flasche geschenkt. Da es jetzt ja meine war, habe ich sie noch mal näher untersucht und sofort ausprobiert. Tatsächlich, sie hielt meinen Tee sehr lange richtig heiß.

Stolz habe ich die Flasche rumgezeigt und immer gleich die Frage in den Raum gestellt: Wie funktioniert das? Denn unsere normalen Thermoskannen, von denen wir ja viele im Gemeindehaus haben, besitzen doch alle diese verspiegelte Innenhülle.

Von den physikalisch gebildeten Menschen bekam ich zur Antwort: Das ist doch ganz logisch. Das ist die extrem gute doppelwandige Vakuumisolierung der Thermosflasche.

Die Erklärung war simpel. Ganz einfach. Klar, für alle die, die es wussten. Und als es mir erklärt wurde, auch für mich.

So im Nachhinein habe ich mich über mich selbst gewundert: dass mich so etwas Neues und für mich Ungewöhnliches so neugierig machen kann.

Ich habe mich dann gefragt, gibt es wohl auch etwas im christlichen Glauben, das jemand so spannend findet, dass er neugierig wird, nachfragt und ausprobiert? Was könnte das wohl sein?

Eigentlich ist der kirchliche Unterricht ja ein Ort, um neugierig zu machen. Viele Kinder kommen heutzutage ohne Vorbildung in diesem Bereich in den Unterricht. Sie kennen die biblischen Geschichten kaum noch. Beten und christliche Inhalte und Gott sind ihnen fremd.

Schaffen wir es, sie neugierig zu machen? So, dass sie christlichen Glauben ausprobieren, ihn drehen und wenden. Und dann für gut befinden? Zum Glück haben wir viele Mitarbeiter in der Jugendarbeit, die uns dabei unterstützen. Und außerdem? Was macht Erwachsene heutzutage noch neugierig? So dass sie etwas ausprobieren und für gut befinden? Eine spannende Frage. Man muss wirklich mal darüber nachdenken. Lassen Sie sich doch auch selbst mal darauf ein!

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2. Februar 2020

„Los, machen wir es hell“

von Pfrn. Kerstin Grünert, Erndtebrück

Was machen Sie eigentlich mit nicht abgebrannten Adventskranzkerzen? Bei mir ist es jedes Jahr das Gleiche. Im Advent denke ich noch so, zünd' den Kranz nicht zu oft an, dann ist er nicht so schnell abgebrannt. Und Anfang Januar hab' ich dann die vier Kerzen in der Hand und weiß nicht wohin damit. Man kann sie ja schlecht bis zum nächsten Advent verwahren. Kerzen auf dem Adventskranz müssen doch unverbraucht und noch ganz neu sein. Also, stehen sie jetzt hier, noch in der Schale, aber ohne Tannengrün und Apfelsinenscheiben. Gewissermaßen als Erinnerung an die gemütliche Zeit im Dezember.

An diesem Wochenende ist es aber nun wirklich vorbei. Der Weihnachtsfestkreis endet, auch im Kirchenjahr. Dann müsste jetzt auch der letzte Stern und der letzte Tannenzweig verschwinden.

Was sind Sie denn für ein Typ? Alles höchstens bis zum 6. Januar und dann die Deko sofort komplett umstellen? Oder hängen Sie dem Heimeligen und den schönen Dingen auch noch ein bisschen nach und räumen nur erst langsam alles weg? Abends hab' ich unterwegs tatsächlich noch in drei Fenstern Sterne leuchten sehen.

Und weil die liturgisch verordnete Zeit des Lichtes jetzt zu Ende ist und es dann bald schon wieder auf die düstere Passionszeit losgeht, will ich heute noch mal total adventlich dazu aufrufen: Tragt in die Welt nun ein Licht!

Licht brauchen wir nämlich immer. Nicht nur im Dezember, nicht nur in den dunklen Wintermonaten. Wir müssen immer wieder dunkle Winkel erhellen. In Köpfen, hinter Mauern und ganz besonders in den Herzen. Wie dunkel können Beziehungen zwischen Menschen sein. Nicht nur in den Partnerschaften, auch inder Familie, zwischen Freunden, Kollegen und Kameraden. Wie düster fühlt es sich an, wenn man Bindungen abbrechen muss, aus welchem Grund auch immer. Abschiede, für immer oder auch nur für eine bestimmte Zeit, selbst gewählt oder hilflos ausgeliefert, ziehen wie eine dunkle Wand im Leben auf.

Tragt in die Welt nun ein Licht! Macht es hell! Findet den Lichtschalter! Zündet die alten Kerzen an und stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel. Hört sich abgedroschen an, wie auf einem Motivationsseminar. Ist aber so! Wir brauchen unendlich viel Licht, um uns im Alltag der Welt und eines jeden Lebens nicht zu verlaufen. Los, machen wir es hell!

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26. Januar 2020

„Mit Jesus diese Welt aushalten“

von Pfr. Horst Spillmann, Arfeld

In meiner Zeit als Klinikseelsorger hat ich mich eine Beobachtung besonders beeindruckt: Wie manche Patientinnen und Patienten sogenannte schwere Schicksalsschläge überwunden haben. Sie erzählten von eigenen Krankheiten, von mehreren Sterbefällen - auch eigener Kinder - in ihren Familien, von materiellen Verlusten, von der Aufgabe der Heimat. Das Auffällige war bei vielen, dass sie nicht in eine Depression geraten, nicht verbittert, nicht gebrochen waren. Sie wirkten wohl getroffen, vom Leben gezeichnet, aber immer noch dem Leben zugewandt.

Wir haben umgangssprachlich dafür das Bild des Stehaufmännchens geprägt. Man kann dieses Männchen - warum sagt man eigentlich nicht Stehauffrauchen? - auf einer Seite nach unten drücken, und wenn man es loslässt, richtet es sich wieder auf. Der tiefe Schwerpunkt verschafft dieser Figur Standfestigkeit und Stabilität. Das gilt beispielsweise auch bei Sportautos oder im Kampfsport, das gilt für unser ganzes Leben, wir brauchen einen tiefen Schwerpunkt.

Der Apostel Paulus hatte diesen Grund in seinem Leben gefunden, sodass er schreiben konnte: „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“ (2. Korinther 4, 8f.) Warum nicht? Seine Antwort: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ (Vers 10) Mit Jesu Sterben meint er nicht nur die Todesstunde Jesu, Paulus hat vielmehr das ganze Leben Jesu im Blick.

Jesus, der mit Gott, seinem himmlischen Vater, eins war (und ist) hat einen Schmerz über diese kaputte Welt empfunden, den wir niemals ermessen können. Er hat die Gottesferne durchmessen. Es muss ihm das Herz zerrissen haben, wenn er das Elend der Menschen sah, das wir im hohen Maße selbst verschulden, dabei könnten wir doch in der Einheit mit Gott leben, die er uns angeboten hat.

Ähnlich zerreißt es Eltern ihr Herz, wenn sie sehen, wie ihr Kind einen katastrophalen Weg einschlägt, sie es aber nicht darin hindern können. Wie soll man dann reagieren? In Liebe dem Kind zugewandt bleiben! Macht Gott, der himmlische Vater, auch. Und das heißt, die Situation annehmen, wenn ich sie nicht ändern kann, sie aushalten und durchkämpfen. So haben sich auch viele der eingangs erwähnten Patientinnen und Patienten durchgekämpft, sind nicht einfach in die mannigfachen Betäubungsmöglichkeiten dieser Welt geflüchtet. Das kennzeichnet auch unseren Glauben: Mit Jesus diese Welt aushalten, die noch nicht das Paradies ist; es gibt keine andere. Das klingt erst einmal wenig attraktiv, hat aber eine große Verheißung. Denn wenn ich diesen tiefen Schwerpunkt in Gott habe, habe ich Bestand: in dieser und in Gottes neuer Welt.

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19. Januar 2020

Puzzleteile in unserer Hand

von Pfrn. Simone Conrad, Birkelbach

„Ach, ich kann die ganzen Bilder gar nicht sehen! Das zerreißt einem ja das Herz!“
„Die armen Koalas, die sind so süß, und jetzt sind so viele verbrannt!“
„Ich habe gehört, über eine Milliarde Tiere sind gestorben!“
„Das ist so gemein, wir Menschen sind verantwortlich - und die armen Tiere müssen das ausbaden!“
Stimmen aus der vergangenen Woche, quer durch alle Alters-, Gemeinde- und sonstigen Gruppen.

Daneben:
„Es kann doch nicht wahr sein, dass man einen Cent bezahlen muss, wenn man seine eigene Dose für den Aufschnitt mit zum Metzger bringt!“
„Da werden die noch bestraft für ihre Umweltfreundlichkeit!“
„Die da oben müssen endlich mal umdenken und das ändern!“
Reaktionen auf einen Zeitungsartikel, ebenfalls aus unterschiedlichsten Mündern.

„Klimahysterie als Unwort - so ein Quatsch! Das ist doch wirklich hysterisch, was da mittlerweile abgeht!“
und – ganz anders:
„Endlich mal ein wirklich passendes Unwort! Ich kann es nicht fassen, dass es immer noch Menschen gibt, die versuchen, den Klimawandel wegzureden. Es ist doch gut, dass endlich was getan wird und dass das Thema ist. Das ist keine Hysterie! Es ist fünf vor Zwölf!“
Beides habe ich gehört – -und Leserbriefe in der Presse spiegeln beides wider.

Diese Stimmen, diese Meinungen sind für mich wie ein großes Puzzle zum Thema Klima, Schöpfung und Verantwortung. Sie zielen auf ganz verschiedene Aspekte, die doch alle dazu gehören und alle wichtig sind. Manche Puzzleteile fügen sich ineinander, manche sind sperrig, manche passen nicht.

Wichtig ist dabei doch: Welches Puzzle-Teilchen lege ich? Welche Stimme bringe ich ein?

Nun, ich bin Pfarrerin, Theologin, und als solche ist für mich ganz klar: Wir haben einen Auftrag – nämlich den, Gottes Schöpfung zu bewahren (1. Mose 2, 15).

Und ich bin Mutter, und als solche! ist für mich ganz klar: Damit können wir nicht warten, bis es fünf nach zwölf ist. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Kindern.

Es bleibt die Frage, wie wir das leben, jede und jeder für sich. Vielleicht, indem wir unsere Aufschnitt-Dose mit zum Metzger nehmen. Vielleicht, indem wir an manchen Stellen auf Fleisch verzichten. Faire Kleidung kaufen. Müll vermeiden. Ja, ich weiß, kleine Schritte. Und ja, ich weiß auch, dass die da oben in der Welt ihren Kurs ändern müssen.

Aber ich erinnere mich an ein Graffiti, dass jemand an eine Wand der Ruhruniversität Bochum gesprüht hatte: „100 000 sagen: Ich alleine kann ja doch nichts tun.“

In diesem Sinne - lassen Sie uns unser Puzzleteil gestalten!

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12. Januar 2020

Gesegnetes Wachsen und Reifen!

von Pfrn. Christine Liedtke, Girkhausen

Will ich so bleiben, wie ich bin? Wenn Sie, wie ich, auch schon drei Jahrzehnte mit Leichtigkeit zurückblicken können, dann denken Sie jetzt vielleicht ebenfalls an eine Frau in figurbetonter Kleidung, die eine neue kalorienreduzierte Nahrungsmittelmarke entdeckt hat, die ihr genau das erlaubt, und so trällert sie fröhlich: Ich will so bleiben, wie ich bin.

Nein, ich will nicht so bleiben, wie ich bin. Natürlich habe ich gute Vorsätze gefasst. Sie auch? Noch ist das Jahr ganz jung. Es ist gut, sich etwas vorzunehmen für das neue Jahr. Und dazu gehören auch die guten Vorsätze. Denn sie zeigen: Wir nehmen unser Leben kritisch in den Blick, wir sagen nicht: Weiter so! Sondern wir schauen hin, wir bewerten, wir entdecken, was anders werden könnte und was anders werden sollte. So entwickeln wir uns, wie wir uns ja immer verändern und entwickeln, solange wir leben. Denn gestern hatten wir noch einen anderen Blick auf das Leben und auf uns selbst, und morgen werden wir auch wieder anders darauf schauen. Heute erweitern wir unseren Horizont und verarbeiten die Dinge, die uns begegnen. So entwickelt sich alles, was lebt.

An uns selbst merken wir es meist nicht, wie wir uns von Jahr zu Jahr verändern. Leichter bemerken wir das bei Menschen, die wir lange nicht gesehen haben oder die wir, wie unsere Kinder, über lange Zeit begleiten dürfen.

Um eine Entwicklung geht es auch in der Jahreslosung für 2020, die hier schon mit einem ausführlichen Artikel bedacht wurde. „Ich glaube“, sagt ein verzweifelter Mensch da zu Jesus, „hilf meinem Unglauben.“ (Markus 9, 24) Auch der Glaube darf sich entwickeln, ja, er verändert sich lebenslang, er wird reifer und anders - hoffentlich, denn ein Kinderglaube kann uns, wenn wir erwachsen sind, nicht tragen; und wenn er uns als Kinderglaube zu klein geworden ist, dann werfen wir ihn schnell leichtfertig über Bord, und er kann nicht weiter mit uns wachsen.

Wie nah ist mir die kurze Szene von Herrn Keuner, die uns Bert Brecht geschenkt hat:
„Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘, sagte Herr K. und erbleichte.“

Es wäre in der Tat erschreckend und zum Erbleichen, wenn wir uns nicht verändern würden! Das ist die Kunst des Lebens: Zu wachsen, zu reifen, sich gegebenenfalls anzupassen, andere Wege zu suchen, manches zu integrieren, manches abzuwerfen, etwas hinter sich zu lassen und zu neuen Ufern aufzubrechen - und dabei immer wieder mal innezuhalten: In welche Richtung möchte ich mich verändern, was will ich zurücklassen, was möchte ich wagen?

So wünsche ich Ihnen ein entwicklungsreiches Jahr, das Sie nicht unverändert lässt, ein gesegnetes Jahr, das uns reifen und wachsen lässt.

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5. Januar 2020

Gottes Sternzeichen

von Gemeindepädagoge Johannes Drechsler, Feudingen

Fast jede Zeitung bringt am Wochenende ein Horoskop. Da liest der Krebs, was seine Gefahren und was seine Chancen in den nächsten Tagen sind. Erstaunlich, wer alles daran glaubt!

Ist was dran?

Ich meine: Ja. Die Bibel berichtet ausdrücklich: Bei der Geburt und bei der Kreuzigung waren Zeichen am Himmel zusehen - bei der Geburt ein Stern, beim Tod eine Sonnenfinsternis. Es hing das Geschehen auf der Erde irgendwie mit dem Kosmos zusammen. Und das ist heute nicht anders. Die Frage ist nur: Wie sieht der Zusammenhang aus?

Sehen wir uns die beiden Verse von Matthäus 2, 1 und 2 an:

„Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: ‚Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben sein Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.‘“

Uns soll der Stern von Bethlehem beschäftigen. Eigentlich ist er die natürlichste Sache der Welt. Dass wir uns über ihn wundern, zeigt nur, wie weltfremd wir sind. Vielleicht dass die Astronauten uns wieder die Augen für den Zusammenhang zwischen uns und dem Weltraum öffnen. An sich müsste dieser Zusammenhang selbstverständlich sein, auch und gerade für den Christen. Wie oft heißt es in den Psalmen: „Er zählt die Sterne und nennt sie alle mit Namen.“ Sollte Gott die Geburt seines Sohnes nicht auch durch ein Stern anzeigen! Und sollten Menschen wie diese Weisen nicht dieses Zeichen lesen können!

Wir heute merken langsam wieder: Mancher ist wetterfühlig. Sonnenschein macht gute Laune, Regen schlechte. Warum sollen nicht auch andere Planeten uns beeinflussen! Und warum soll dieser Einfluss nicht bei meiner Geburt beginnen! Schon meine Eltern und Voreltern haben mir eine bestimmte Erbmasse mitgegeben. Die Kultur prägt mich. Mein Unbewusstes trägt in sich uralte Bilder aus der Erfahrung meiner Urahnen. Ich bin ein unentwirrbares Geflecht von Einflüssen. Und da sollte zwischen mir und den Sternen eine isolierende Wand bestehen?! Das Wunder meiner Geburt und meiner Eigenart wird durch meinen Bezug zu den Sternen größer.

So weit, so gut. Aus diesem guten Glauben wird aber dämonischer Aberglaube, wenn - ja wenn der Einfluss für mein Schicksal gehalten wird. In den Sternen steht eben nicht mein Schicksal. So wenig meine Gene mein Schicksal sind; wir sind nicht programmiert wie ein Roboter. Und so wenig wir willenlos der Gesellschaft oder unserem Unbewussten ausgeliefert sind. Ich bin von Gott als eine einmalige, unverwechselbare Person geschaffen. Auch die Milliarden Menschen zählt er und nennt sie mit Namen. Bekanntlich besitzt jeder eigenen Fingerabdruck. Erst recht seine persönliche Eigenart. Die Sterne, die Gene, die Triebe, die gesellschaftliche Systeme und was sonst noch uns zu bestimmen scheinen - das alles sind nur Einflüsse, mehr nicht. Was wir aus ihnen machen, ist unsere Entscheidung.

Dass wir von dem Einfluss der Sterne wissen, soll uns zur Andacht führen vor dem Wunder, das in Jesus uns widerfährt. Ich soll Gott loben, dass er Himmel und Erde in Bewegung setzte, damit Jesus geboren wurde. Meine ganze Natur, so wie sie auch durch den Einfluss der Sterne zustande kam und täglich neu gestaltet wird, mein ganzes Wesen soll in den Dienst Jesu gestellt werden. Wenn ich so lebe, ist die Aufgabe, die die Sterne an mir haben, erfüllt.

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Die Westfalenpost hat seit Ostern 2009 die Serie „An-Gedacht“ in ihrem Wittgensteiner Lokalteil, in der Pfarrer*innen aus dem Evangelischen Kirchenkreis Wittgenstein jeden Samstag zu Wort kommen. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion drucken wir die Gedanken ab Sonntag auch hier ab. Verantwortlich für den Inhalt sind die Verfasser*innen. Bei den Texten handelt es sich übrigens nicht um Predigten, sondern ganz einfach um kurze Gedanken mit einem theologischen Impuls. Sie können nicht - und wollen auch nicht - die Gemeinschaft, die Musik und die Predigt eines richtigen Gottesdienstes ersetzen. Aber sie dürfen gern von allen Leser*innen als Einladung verstanden werden, am nächsten Sonntag einen Gottesdienst in einer der heimischen Gemeinden zu besuchen.